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Darlegungs- und Beweislast bei krankheitsbedingter Leistungsunfähigkeit

Die Rechtsprechung zur Beweislastverteilung und abgestuften Darlegungs- und Beweislast bei krankheitsbedingter Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers ist äußerst ausdifferenziert. Nunmehr hat das BAG mit Urteil vom 22.08.2018 (5 AZR 592/17) nochmals wichtige Hinweise zur Darlegungs- und Beweislast gegeben und seine bisherige Rechtsprechung bestätigt.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Vergütung und Urlaubsgeld wegen Annahmeverzugs, hilfsweise als Schadensersatz für die Zeit vom 15.02. bis zum 31.10.2016. Seit dem Jahr 2011 war die Klägerin längere Zeit krankheitsbedingt arbeitsunfähig.

Im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) Ende 2015 wurde festgestellt, dass „Schonarbeitsplätze“ nicht frei seien und in absehbarer Zeit auch nicht frei würden. Als eine für die Klägerin gegebenenfalls infrage kommende Beschäftigung wurde jedoch ein Arbeitsplatz an einer bestimmten Maschine identifiziert.

Hierbei kam der Betriebsarzt zu dem Schluss, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen auch auf diesem Arbeitsplatz nicht einsetzbar sei. Die Klägerin war hingegen anderer Auffassung und forderte mit Schreiben vom 08.02.2016 die Beklagte auf, ihr die im bEM benannte Tätigkeit zuzuweisen. Dabei verwies sie auf eine beigefügte Bescheinigung ihres behandelnden Facharztes.

An der Maschine wurde die Klägerin erst ab dem 02.11.2016 eingesetzt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie spätestens seit Mitte Februar 2016 für den benannten Arbeitsplatz arbeitsfähig gewesen sei. Die Beklagte habe es jedoch trotz Aufforderung unterlassen, sie dort zu beschäftigten und schulde ihr deshalb im Streitzeitraum Annahmeverzugsvergütung.

Nachdem das LAG die Ansprüche der Klägerin mit Verweis auf die Einschätzungen des Betriebsarztes abgelehnt hat, hat das BAG die Sache an das LAG zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

Das BAG hat ausgeführt, dass notwendige Voraussetzung der Begründetheit der Klage sei, dass die Klägerin im Streitzeitraum leistungsfähig war. Das LAG hätte deshalb in eine Beweisaufnahme eintreten und die wechselseitig angebotenen Beweise - durch Vernehmung des von der Beklagten haupt- bzw. gegenbeweislich benannten Betriebsarztes und des von der Klägerin haupt- bzw. gegenbeweislich benannten behandelnden Facharztes, jeweils als sachverständige Zeugen (§ 414 ZPO) - erheben müssen. Soweit das LAG sich stattdessen seine Überzeugung von der Leistungsunmöglichkeit der Einschätzungen und Stellungnahmen des Betriebsarztes gebildet hat, habe es streitiges Vorbringen als unstreitig behandelt.

Im Rahmen seiner Entscheidungsgründe hat das BAG zudem umfangreiche Hinweise zur Darlegungs- und Beweislast wie folgt gegeben:

a) Beruft sich der Arbeitgeber gegenüber einem Anspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug auf dessen Leistungsunfähigkeit im Sinne von § 297 BGB, erhebt er eine Einwendung, für deren Voraussetzungen er als Gläubiger der Arbeitsleistung die Darlegungs- und Beweislast trägt.

b) Verlangt der Arbeitnehmer nach § 280 I iVm § 241 II BGB Vergütung als Schadensersatz mit der Begründung, der Arbeitgeber habe es schuldhaft versäumt, ihm einen leidensgerechten Arbeitsplatz außerhalb der bisher übertragenen Tätigkeit zuzuweisen, muss der Arbeitnehmer darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass sein vorhandenes Leistungsvermögen den Anforderungen an die beanspruchte andere Tätigkeit genügt. Hierauf hat sich der Arbeitgeber im Rahmen einer ihn treffenden sekundären Behauptungslast substanziiert einzulassen und darzulegen, aus welchen Gründen eine Beschäftigung des Arbeitnehmers zu den vorgeschlagenen Bedingungen nicht in Betracht kommt.

c) Der ihn hiernach treffenden primären Darlegungs- bzw. sekundären Behauptungslast kann der Arbeitgeber grundsätzlich auch dadurch genügen, dass er sich im Prozess auf eine betriebsärztliche Stellungnahme über die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers beruft. Bei deren Würdigung muss der Tatrichter allerdings berücksichtigen, dass es sich hierbei nicht um ein Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO handelt, sondern um ein Privatgutachten, das als qualifizierter Parteivortag zu werten ist. Die gutachterliche Stellungnahme begründet nach § 416 ZPO lediglich Beweis dafür, dass der Betriebsarzt die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen abgegeben hat, nicht aber dafür, dass die ihr zugrunde gelegten Befunde und Schlussfolgerungen zutreffend sind. Über deren behauptete Richtigkeit muss das Gericht gegebenenfalls nach allgemeinen Regeln Beweis erheben.

Hinweise für die Praxis

Das BAG hat mit seinem Urteil vom 22.08.2019 seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und fortgeführt. Einem Arbeitnehmer muss die Erbringung seiner vertraglich geschuldeten Leistungen möglich sein. Andernfalls gerät der Arbeitgeber gem. § 297 BGB nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr verrichten kann.

Den Annahmeverzug ausschließende persönliche Gründe liegen vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen Krankheit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil sonst die Heilung einer vorhandenen Krankheit nach ärztlicher Prognose beeinträchtigt wird (BAG 23.01.2008 – 5 AZR 393/07).

Die Darlegungs- und Beweislast für das fehlende Leistungsvermögen des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber. Dazu genügt es, dass er Indizien vorträgt, aus denen auf eine Leistungsunfähigkeit geschlossen werden kann. In Betracht kommen insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern (BAG, Urteil vom 05.11.2003 - 5 AZR 562/02). Dies kann beispielsweise durch die Vorlage einer Arbeitsfähigkeitsbescheinigung erfolgen (LAG Düsseldorf, Urteil vom 03.09.2009 - 11 Sa 410/09).

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