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Außerordentliche Kündigung wegen jahrelanger Alkoholerkrankung

Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gem. § 626 BGB kann gerechtfertigt sein, wenn eine jahrelange Alkoholerkrankung eine negative Gesundheitsprognose zulässt und eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vorliegt. Dies hat das LAG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 24.07.2019 (Az. 15 Sa 2498/18) entschieden.

Sachverhalt

Die beklagte Gewerkschaft beschäftigte die Klägerin als Verwaltungsangestellte. Die Klägerin ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und alkoholabhängig. Von jährlich 261 möglichen Arbeitstagen fehlte die Klägerin in den Jahren 2016 und 2017 durchgängig, mithin an 522 Arbeitstagen. Für das Jahr 2014 lagen 242 und für das Jahr 2015 185 Arbeitstage als Fehlzeiten vor. Damit ergaben sich insgesamt 983 Krankheitstage in 4,15 Kalenderjahren. In dieser Zeit führte die Klägerin mehrere Entwöhnungsversuche durch, die sie entweder frühzeitig abbrach oder bald wieder rückfällig wurde. Die Beklagte führte mehrere Gespräche zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) durch. Die auf Basis der "Gesamtbetriebsvereinbarung zur Betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe" geplanten Gespräche fanden überwiegend nicht statt, da die Klägerin entweder nicht erschien oder kurzfristig  absagte. Die Beklagte sprach zwei Abmahnungen aus. Am 22.01.2018 lieferte der Sohn der Klägerin diese wegen Alkoholmissbrauchs in eine Klinik ein. Die Klägerin war in den letzten 4,15 Jahren vor ihrer Kündigung 16 Mal stationär im Krankenhaus aufgenommen worden.

Die Beklagte sprach am 23.03.2018 die Kündigung mit sozialer Auslauffrist aus. Das Arbeitsgericht gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das LAG das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe

Das LAG entschied, dass die Kündigung der Klägerin gem. § 626 BGB wirksam ist. Regelmäßig sei dem Arbeitgeber die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten. In eng begrenzten Ausnahmefällen komme jedoch auch eine außerordentliche Kündigung in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen sei. In einer solchen Konstellation könne ein Sachverhalt, der bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, gerade wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB für den Arbeitgeber darstellen. Es müsse dann allerdings zu Gunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden.

Die Wirksamkeit einer Kündigung sei auf drei Stufen zu prüfen. Auf der 1. Stufe sei eine negative Gesundheitsprognose erforderlich, wobei vergangene Erkrankungen indizielle Bedeutung hätten. Im Rahmen der 2. Stufe müssten die prognostizierten Fehlzeiten geeignet sein, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Dies sei der Fall, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führten. Zuletzt sei auf der 3. Stufe zu prüfen, ob die Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müsse.

Bei Anwendung dieser Kriterien stelle sich die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist als gerechtfertigt dar. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin auch zukünftig durchschnittlich 236 von 261 Tagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig sein werde. Dieser Wert sei prognosefähig, da die Klägerin nicht geltend gemacht habe, dass ihre Krankheit ausgeheilt sei oder eine Therapie begonnen habe, bei der nunmehr davon auszugehen sei, dass die Alkoholsucht nicht mehr auftreten werde. Es bestehe zudem eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Bei einem Umfang von nur ca. 10% der möglichen Arbeitstage mit absteigender Tendenz sei das Arbeitsverhältnis sinnentleert und es sei völlig unvorhersehbar, wann die Klägerin eine Arbeitsleistung erbringen könne. Auch die Interessenabwägung falle zulasten der Klägerin aus, auch wenn zu ihren Gunsten vor allem ihr hohes Lebensalter, die lange Betriebszugehörigkeit, die Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person und die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt insbesondere als Alkoholikerin zu berücksichtigen seien. Das Interesse der Beklagten ein sinnvolles Arbeitsverhältnis durchführen zu können sei indes höher. Es sei unzumutbar, bis zum Renteneintritt ein Arbeitsverhältnis fortzusetzen, von dem die Beklagte praktisch nichts habe. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Möglichkeit gehabt hatte, mit insgesamt drei Entwöhnungsmaßnahmen ihre Alkoholsucht zu bekämpfen. Künftig sei eher mit größeren Schwierigkeiten als mit einer abnehmenden Tendenz zu rechnen.

Hinweise für die Praxis

Das LAG Berlin-Brandenburg prüft lehrbuchmäßig die vom BAG entwickelten Grundsätze zur krankheitsbedingten Kündigung und zeigt dabei, dass die Kündigung langzeiterkrankter Arbeitnehmer dann gerechtfertigt ist, wenn diese solch erhebliche Fehlzeiten aufweisen, dass das Arbeitsverhältnis sinnentleert ist. Selbst ein hohes Lebensalter und eine lange Betriebszugehörigkeit schützen den Arbeitnehmer dann nicht.

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