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Anspruch des Käufers eines mangelhaften Neufahrzeugs auf Ersatzlieferung bei einem Modellwechsel - Erster Hinweis zur BGH-Rechtsprechung im „Fall VW“

Causa VW: Nach einem Hinweisbeschluss des BGH kann die „Schummelsoftware“ beim Diesel-Pkw einen Sachmangel darstellen, der einen Anspruch auf Ersatzlieferung eines neuen Modells verschafft. Dieser Beschluss wirkt sich auch auf andere Branchen aus.

Hintergründe

Im ersten beim Bundesgerichtshof anhängigen Fall des VW-Konzerns i.S. Abschalteinrichtung ist der Verhandlungstermin vom 27.02.2019 aufgehoben worden, nachdem der Kläger die Revision unter Hinweis darauf, dass sich die Parteien verglichen haben, zurückgenommen hat. Vorausgegangen war dem Vergleich vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe ein Hinweisbeschluss des 8. Zivilsenates vom 08.01.2019.

Inhalt des Hinweisbeschlusses

In diesem Beschluss hatte der 8. Zivilsenat die Parteien auf seine „vorläufige Rechtsauffassung“ hingewiesen, dass bei einem Fahrzeug, das bei Übergabe an den Käufer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die den Stickoxydausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, vom Vorliegen eines sog. „Sachmangels“ auszugehen sein dürfte. Der Grund: Es bestünde die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständigen Behörden. Damit fehle es an der Eignung der Sache für die gewöhnliche Verwendung, nämlich für die Nutzung im Straßenverkehr. Dies ist ganz sicher richtungsweisend für zahlreiche weitere Entscheidungen in der „Causa VW“.

Entscheidender aber – und von allgemeiner Bedeutung – ist der zweite Teil des Hinweisbeschlusses gemäß Presseerklärung des BGH vom 22.02.2019: Der 8. Zivilsenat hat die Parteien nämlich in dem bereits zitierten Hinweisbeschluss auf dessen vorläufige Einschätzung ferner hingewiesen, dass die Auffassung des Oberlandesgerichts – mithin also die Auffassung des Berufungsgerichts als Vorinstanz – rechtsfehlerhaft gewesen sein könnte, soweit es angenommen habe, dass die vom Käufer geforderte Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeuges unmöglich gewesen sei. Der Kläger hatte ein Fahrzeug der ersten Generation der betreffenden Serie (im konkreten Fall einen VW Tiguan 2.0 TDI) erworben, das jedoch nicht mehr hergestellt wird. Ferner war ein solches Modell auch nicht mehr zu beschaffen. Insofern hatte die Vorinstanz die Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeuges für unmöglich gehalten (§ 275 Abs. 1 BGB).

Dies hat der Bundesgerichtshof in dieser Allgemeinheit nicht stehen gelassen. Im Hinblick auf den Inhalt der vom Verkäufer vertraglich übernommenen Beschaffungspflicht dürfte – insofern anders als das Berufungsgericht angenommen hat – ein mit einem nachträglichen Modellwechsel einhergehender mehr oder weniger großer Änderungsumfang für die Interessenlage des Verkäufers in aller Regel – so der BGH – ohne Belang sein. Im Regelfall dürfte es daher – nicht anders als sei das betreffende Modell noch lieferbar – im Wesentlichen auf die Höhe der Ersatzbeschaffungskosten ankommen. Wenn es darauf aber ankommt, führt dies noch nicht zu einem Anspruch auf Nachlieferung. Vielmehr kann der Verkäufer eine Ersatzlieferung gegebenenfalls unter den – allerdings im Einzelfall – festzustellenden Voraussetzungen des § 439 Abs. 4 BGB verweigern, wenn und sofern die Ersatzlieferung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.

Fazit

In dem Hinweisbeschluss hat der Senat – und konnte der 8. Zivilsenat auch nur – seine vorläufige Rechtsauffassung übermitteln. Nicht ohne Grund aber ist der BGH so weit gegangen und hat diesen Hinweisbeschluss veröffentlicht, ein Unterfangen, das auch nicht alltäglich ist.

Der Verbraucherschutz wird – dies lässt sich den allgemeinen Medien bereits entnehmen – insofern gefestigt und weiter ausgebaut. Dies mag für einzelne Verbraucher sehr positiv klingen und führt möglicherweise, sofern dieser Hinweisbeschluss denn überhaupt Beachtung findet, zu einer starken Belastung zunächst für die Branche, ist aber – in dieser Allgemeinheit – durchaus für viele andere produzierenden Hersteller ebenfalls von Bedeutung. Vielfach wird es demzufolge künftig – allerdings immer nur nach den jeweils im Einzelfall festzustellenden Voraussetzungen – möglich sein, dass einem Käufer – im Rahmen der Gewährleistung – immer unterstellt, er habe eine mangelhafte Sache erhalten, auch ein Anspruch auf Ersatzlieferung noch zustehen kann, obwohl bereits die Serie an sich eingestellt ist und ein neues Modell vorliegt. Der Kunde hat demzufolge unter Umständen einen Anspruch auf das neue Modell. Damit nähert sich die deutsche Rechtsprechung sehr stark den bisher schon stärkeren Verbraucherrechten, zum Beispiel in Australien, an. Allerdings ist Verbraucherschutz keine Einbahnstraße. Die Mehrkosten wird die Allgemeinheit tragen (müssen).

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