Prof. Dr. F. Christian Genzow, Vertriebsrecht

VW droht die Kontrolle über sein Händlernetz zu verlieren

VW könnte ein massives Problem mit der Selektion seiner Vertriebspartner bekommen. Grund dafür ist letztlich der Erfolg des Konzerns. Schon die Neuzulassungen des Jahres 2016 belegen: Die Marktanteile des VW-Konzerns liegen in der Kompaktklasse, bei Geländewagen und bei Großraum-Vans über 50 Prozent. Und selbst in der Mittelklasse, bei Sportwagen und bei Nutzfahrzeugen liegt der Marktanteil zwischen 40 und 50 Prozent, im Bereich Kleinwagen und der oberen Mittelklasse zwischen 30 und 40 Prozent.

Das ist finanziell positiv für den Konzern, doch es hat rechtliche Konsequenzen: Die europäische Kartellverordnung GVO 330/2010 bestimmt nämlich in Artikel 3, dass der Hersteller seinen Vertriebspartnern keine Wettbewerbsbeschränkungen auferlegen darf, wenn sein Marktanteil über 30 Prozent liegt.

Zwar wird teilweise die Meinung vertreten, dass im Kfz-Bereich wegen einer Kommentierung in der Leitlinie zur GVO der relevante Marktanteil abweicht und die Grenze erst bei 40 Prozent liegt. Doch das hat keine entscheidende Bedeutung, schließlich erreicht der VW-Konzern in einigen Segmenten sogar einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent.

Doch was bedeutet das? Wenn keine Wettbewerbsbeschränkungen mehr erlaubt sind, darf der Hersteller auch keine potenziellen Vertriebspartner mehr ausschließen. Er kann also nicht mehr die Anzahl der Partner im Vertriebssystem bestimmen. Er ist vielmehr nur noch zur sogenannten qualitativen Selektion berechtigt. VW kann dann nur noch die Standards bestimmen, die erfüllt werden müssen, um einen Vertriebsvertrag zu erhalten. Wer diese Vorgaben erfüllt, der muss auch einen Vertrag bekommen. Genau so, wie es jetzt schon im Kundendienstbereich der Fall ist.

Aus den Erfahrungen mit den qualitativen Systemen im Kundendienst ist zwar zu befürchten, dass die Standards im Vertrieb erhöht werden, um auf diese Art und Weise unerwünschte Bewerber von einem Vertriebsvertrag abzuschrecken. Rechtlich ist hier aber nicht alles möglich. Denn in einer qualitativen Selektion dürfen vom Lieferanten nur Standards verlangt werden, die "notwendig und erforderlich" sind. Das dürfte für viele Standards – bis hin zu den schon sprichwörtlichen teuren Fliesen in den Ausstellungsräumen – zukünftig infrage stehen.

Diese rechtliche Situation hat weitreichende Folgen – gerade auch vor dem Hintergrund der bei VW geplanten Kündigungen der alten Händlerverträge. Denn ein VW-Konzernhändler, der mit der Kündigung seines Vertrags nicht einverstanden ist, könnte Klage gegen den VW-Konzern erheben. Er könnte argumentieren, dass ein in der Zahl beschränktes Vertriebssystem kartellrechtlich nicht zulässig sei und zugleich einen Anspruch auf einen Vertriebsvertrag – bei Erfüllung der qualitativen Standards – erheben. Oder er könnte direkt das Bundeskartellamt anrufen.

Für VW wäre diese Situation alles andere als komfortabel, denn der Konzern würde eine wichtige Steuerungskomponente für sein Netz verlieren: Er könnte nur noch sehr schlecht bestimmen, wer sein Partner wird und wo – und zwar bezogen auf alle Marken bis hin zu Porsche.

Wollte der Konzern dennoch die Steuerung behalten, bliebe ihm letztlich nur die Umstellung auf eine Form des Direktvertriebs: Die bisherigen Händler würden zu Agenten, sie würden bestimmte Aufgaben im Vertriebsprozess übernehmen und dafür eine Provision erhalten. Das muss für den Handel, der mit Neuwagen ohnehin kaum noch etwas verdient, nicht einmal der schlechteste Weg sein.

Eines aber ist sicher: Mit der Kündigung und neuen Verträgen wird der VW-Konzern hier wohl die Büchse der Pandora öffnen – mit unübersehbaren Folgen. Aber seit Ausbruch des Dieselskandals im Jahr 2015 wissen wir ja, dass der Konzern keinerlei Risiken scheut.

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