tobias lenz vertragsrecht p.jpgsandra ott versicherungsrecht p.jpg

Die Musterfeststellungsklage

Nachdem lange darüber gesprochen wurde, wird sie nun kommen: Die Musterfeststellungsklage. Der Ruf nach einer besseren Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit für Verbraucher wurde vor allem im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Skandal laut. Lange sind die Koalitionspartner der Bundesregierung mit sich zu Rate gegangen, um einen konsensfähigen Entwurf zu entwickeln. Nunmehr hat der Bundestag am 14.06.2018 unter einer „etwas sperrigen Überschrift“ das „Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage“ (BGBl. I 2018, S. 1151) verabschiedet. Das Gesetz wird am 01.11.2018 in Kraft treten.

Wer kann klagen?

Insbesondere über die Frage der sog. „Klagebefugnis“ wurden diverse Debatten geführt. Auf der einen Seite wurde die Besorgnis der Entstehung einer (aus dem amerikanischen Markt bekannten) „Klageindustrie“ geäußert, während auf der anderen Seite die Klagebefugnis anderen Stimmen nicht weit genug ging. Schlussendlich sieht das Gesetz nun vor, dass sog. „qualifizierte Einrichtungen“ klagebefugt sind. „Qualifizierte Einrichtungen“ in diesem Sinne sind bestimmte, registrierte Verbraucherschutzvereine, die

  1. als Mitglieder mindestens zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben,

  2. mindestens vier Jahre in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes oder dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30) eingetragen sind,

  3. in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehmen,

  4. Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erheben und

  5. nicht mehr als 5 Prozent ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen.

Mit anderen Worten: Kleineren Verbraucherschutzorganisationen, wie z.B. der Deutschen Umwelthilfe, wird es (jedenfalls zur Zeit) nicht möglich sein, ein Musterfeststellungsverfahren durchzuführen.

Zuständiges Gericht und Einzelheiten zum Verfahren

Zuständig sind für Musterfeststellungsverfahren bereits in erster Instanz die Oberlandesgerichte. Die Zulässigkeit einer Musterfeststellungsklage hängt davon ab, dass die qualifizierte Einrichtung zunächst glaubhaft macht, dass von den Feststellungszielen zumindest zehn Verbraucher betroffen sind. Zudem müssen innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche zur Eintragung in das Klageregister anmelden. Nur dann wird das Verfahren auch tatsächlich durchgeführt. Die angemeldeten Verbraucher selbst sind nicht verfahrensbeteiligt. Sie tragen mithin kein Prozesskostenrisiko und können sogar als Zeugen vernommen werden. Wichtig ist, dass durch die Anmeldung auch die Verjährung gehemmt wird.

Beendigung des Verfahrens und Bindungswirkung

Das Verfahren kann durch Erlass eines sog. Musterfeststellungsurteils oder aber auch durch Vergleich, welcher durch das Gericht zu genehmigen ist, enden. Das Musterfeststellungsurteil entfaltet für den beklagten Unternehmer und die angemeldeten Verbraucher Bindungswirkung. Das bedeutet, dass z. B. ein festgestellter Mangel dem Grunde nach feststeht. Bei einem Verfahrensabschluss durch Vergleich stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss den Inhalt und die Wirksamkeit des Vergleichs fest, wenn zumindest 70 Prozent der angemeldeten Verbraucher den gerichtlich genehmigten Vergleich akzeptieren. Wenn hingegen mehr als 30 Prozent der angemeldeten Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich erklären, ist der Vergleich unwirksam. Nach Erlass des Urteils bzw. Vergleichsabschluss obliegt es dann dem jeweiligen Verbraucher selbst, seine Ansprüche gegen den beklagten Unternehmer (unter Umständen sogar wieder) im Klagewege durchzusetzen.

Kollektivverfahren in der EU

Die Musterfeststellungsklage stellt für Deutschland ein Novum dar. Vor allem die USA, aber auch andere EU-Länder, z. B. Frankreich, Portugal und Italien, sehen hingegen eine Möglichkeit der Kollektivklage schon länger vor. Auch auf EU-Ebene bewegt sich etwas. So hat die Kommission am 11.04.2018 einen Vorschlag für eine Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (COM (2018) 184 final) vorgelegt. Dieser Entwurf ähnelt den deutschen Regelungen sehr. Jedoch geht der Vorschlag der Kommission in einem wesentlichen Punkt deutlich über das deutsche Gesetz hinaus: Es sollen nicht nur – wie in Deutschland – gleichartige Verstöße festgestellt, sondern darüber hinaus durch qualifizierte Einrichtungen Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können. Da es sich jedoch (beim Kommissionsvorschlag) bislang um einen ersten Entwurf handelt, bleibt abzuwarten, ob und wie die Pläne der Kommission umgesetzt werden.

Fazit

Unternehmer sowie auch Rechtsanwaltskanzleien haben sich darauf einzustellen, dass in naher Zukunft öffentlichkeitswirksame „Großverfahren“ auf sie zukommen. Auch wenn die Musterfeststellungsklage keine „echte“ Sammelklage, so wie es sie in den USA gibt, ist und das Verfahren nicht dazu führt, dass die beteiligten Verbraucher einen unmittelbaren Zahlungstitel erlangen, werden die Verfahren für die Schadensregulierung und die Außendarstellung der Unternehmen eine wesentliche Rolle spielen. Zu berücksichtigen ist dabei aber, dass eine positive Feststellung im Rahmen des Musterverfahrens kein Garant für einen erfolgreichen Folgeprozess des jeweiligen Verbrauchers ist.

Kontakt > mehr