andreas imping arbeitsrecht 1.jpg

Vererblichkeit von Urlaubsansprüchen

Der EuGH hat mit Urteil vom 06.11.2018 (Az. C-619/16, C-684/16) entschieden, dass ein grundsätzlicher, automatischer Verfall nicht genommener Urlaubsansprüche zum Jahresende europarechtswidrig ist, nicht genommener Urlaub daher uneingeschränkt auf das Folgejahr übertragen wird, es sei denn, der Arbeitgeber fordert seine Mitarbeiter förmlich dazu auf, Urlaub zu nehmen, und belehrt sie dabei über den möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen zum Jahresende.

Sachverhalt

Die Ausgangsklägerinnen verlangen als Erben ihres jeweils verstorbenen Ehemannes von deren früheren Arbeitgebern eine finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub, den die Ehemänner vor ihrem Tod nicht mehr nehmen konnten. Die Arbeitgeber lehnten die Zahlung ab, worauf die Klägerinnen die deutschen Arbeitsgerichte anriefen. Diesen Klagen wurde stattgegeben. Die Berufungen der Ausgangsbeklagten dagegen wies das Landesarbeitsgericht zurück. Anschließend legten die Ausgangsbeklagten Revision beim BAG ein, welches den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren mit der Bitte um Auslegung des EU-Rechts zum Urlaubsanspruch (Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG, Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta) anrief. Danach erhält jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen; dieser Anspruch darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Wenngleich der EuGH bereits im Jahr 2014 entschieden habe, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nicht mit seinem Tod untergehe, war nach Einschätzung des BAG fraglich, ob diese Rechtsprechung auch dann gelte, wenn eine solche finanzielle Vergütung nach dem nationalen Recht – wie in § 7 Abs. 4 BurlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB bestimmt – nicht Teil der Erbmasse werde. Zudem könne der mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen und einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zur Verfügung zu stellen, nach dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr verwirklicht werden.

Entscheidungsgründe

Der EuGH bestätigt mit seinem Urteil, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach dem Unionsrecht nicht mit seinem Tod untergeht. Außerdem könnten die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers eine finanzielle Vergütung für den von ihm nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen. Sofern das nationale Recht eine solche Möglichkeit ausschließe und sich daher als mit dem Unionsrecht unvereinbar erweise, könnten sich die Erben unmittelbar auf das Unionsrecht berufen, und zwar sowohl gegenüber einem öffentlichen als auch gegenüber einem privaten Arbeitgeber. Der EuGH verpflichtet daher den Arbeitgeber, "konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen". Die Betriebe müssten daher ihre Angestellten nachweisbar dazu auffordern – und "klar und rechtzeitig" darauf hinweisen, dass der Urlaub andernfalls verfällt.

Von erheblicher Bedeutung ist der Hinweis des EuGH, dass das BAG die erbrechtliche Regelung unangewendet lassen müsse, wenn sie nicht im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt werden könne. Anders gewendet: der Urlaubsanspruch verfällt nicht automatisch, wenn der Arbeitgeber eine Aufforderung und Belehrung adressiert hat. Vielmehr wird das BAG zunächst prüfen, ob § 7 Abs. 3 BUrlG europarechtskonform in der Weise ausgelegt werden kann, dass diese zusätzlichen Verfallsvoraussetzungen in die Vorschrift hineingelesen werden. Sollte das BAG diese Möglichkeit verneinen, wäre § 7 Abs. 3 BUrlG europarechtswidrig und unanwendbar; Urlaubsansprüche würden generell nicht mehr verfallen.

Hinweise für die Praxis

Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH auf das deutsche Urlaubsrecht sind unverändert erheblich. Arbeitgebern ist daher anzuraten, zumindest vorsorglich ihre Arbeitnehmer rechtzeitig vor Jahresende zu ersuchen, ihren Resturlaub zu nehmen und sie gleichzeitig über die Möglichkeit eines Verfalles zu belehren. Sollte das BAG erwartungsgemäß die vom EuGH nahegelegte europarechtskonforme Auslegung vornehmen, wären Urlaubsansprüche nur verfallen, wenn Arbeitnehmer sie ungeachtet der Aufforderung und Belehrung nicht genommen hätten.

Entsprechend der bekannten Rechtsprechung des EuGH zum Verfall von Abgeltungsansprüchen langjährig erkrankter Arbeitnehmer dürfte die neuere Rechtsprechung allein für den gesetzlichen Mindesturlaub gelten. Der darüber hinausgehende vertragliche Urlaub bliebe wohl nur erhalten, sofern arbeitsvertraglich oder in einer Betriebsvereinbarung keine andere Regelung getroffen ist. Arbeitgeber sollten deshalb erwägen, im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, dass der vertragliche Mehrurlaub zum Jahresende verfällt. Den Anforderungen der Rechtsprechung genügende Urlaubsregelungen werden hierdurch zugebenermaßen zunehmend komplexer. Ob dieser Aufwand tatsächlich lohnt, muss jeder Arbeitgeber unter Berücksichtigung seiner Praxis selbst entscheiden.

Kontakt > mehr