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Lebensmittelrecht: Gleichstellung von im Wege der Mutagenese gezüchteten Pflanzen mit gentechnisch veränderten Organismen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem aktuellen Urteil vom 25. Juli 2018 (C-528/16) entschieden, dass Pflanzen, die im Wege der sog. Mutagenese gezüchtet werden, als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) anzusehen sind. Damit unterliegen solche Pflanzen speziellen Zulassungsverfahren. Lebensmittel, bei denen zumindest ein Bestandteil im Wege dieser Methode gewonnen wurde, müssen entsprechend gezeichnet werden.

Hintergrund

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) unterliegen in der EU besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Freisetzung in die Umwelt und ihres Inverkehrbringens. Lebensmittel, die GVO enthalten oder aus GVO bestehen, müssen entsprechend gekennzeichnet werden. Unstreitig zu den GVO zählen solche Pflanzen und Tiere, die im Wege der sog. Transgenese gentechnisch verändert werden, d.h. bei denen fremdes Erbgut transferiert wird, um bestimmte Eigenschaften zu vermitteln. Davon zu unterscheiden sind Verfahren, bei denen Mutationen im Erbgut erzeugt werden, aber kein fremdes Genmaterial zum Einsatz kommt. Diese sog. Mutagenese kann gezielt oder zufällig erfolgen. Auch sie dient dazu, bestimmte Eigenschaften des betroffenen Organismus zu erreichen. Umstritten war bislang, ob auch solche Organismen, die ohne Einsatz von Fremd-DNA im Wege der Mutagenese gewonnen werden, als GVO im Sinne des EU-Rechts anzusehen sind und damit auch den speziellen Anforderungen an diese unterliegen.   

Ein französischer Landwirtschaftsverband sowie verschiedene Umweltschutzorganisationen hatten beim französischen Premierminister beantragt, eine Vorschrift im französischen Umweltgesetzbuch aufzuheben, wonach die Mutagenese nicht zu den Verfahren gehört, die eine genetische Veränderung hervorrufen. Zudem sollte der Anbau von durch Mutagenese gewonnenen Herbizid toleranten Rapssorten untersagt werden. Nachdem dieser Antrag stillschweigend abgelehnt worden war, erhoben die beteiligten Verbände Klage beim zuständigen Gericht. Dieses sah die Gefahr möglicher schädlicher Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier aufgrund der neuen Verfahren der gezielten Mutagenese. Es legte daher dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob durch Mutagenese gewonnene Organismen als GVO im Sinne des europäischen Rechts anzusehen sind und deshalb den speziellen Anforderungen für diese unterliegen.

Das Urteil des EuGH vom 25.07.2018 – C-528/16

Der EuGH hat die streitige Frage dahingehend entschieden, dass durch gezielte Mutagenese gewonnene Organismen als GVO im Sinne der Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (GVO-Richtlinie) einzustufen sind. Dies begründet das Gericht damit, dass im Wege der gezielten Mutagenese eine auf natürliche Wese nicht mögliche Veränderung am genetischen Material eines Organismus vorgenommen wird. Die streitgegenständlichen Verfahren der gezielten Mutagenese sind nach Ansicht des Gerichts auch nicht deshalb vom Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie ausgenommen, weil die Mutagenese allgemein im Zusammenhang mit den Verfahren aufgezählt wird, die herkömmlich angewandt werden und als sicher gelten. Denn die neuartigen Verfahren der gezielten Mutagenese seien anders als die Verfahren der zufälligen Mutagenese erst nach Erlass der GVO-Richtlinie entstanden und hinsichtlich ihrer Wirkung vergleichbar mit der Einführung eines fremden Gens in den Organismus. Diese Verfahren ermöglichten die Erzeugung genetisch veränderter Sorten in einem ungleich höheren Tempo und Ausmaß als bei der Anwendung herkömmlicher Methoden der Zufallsmutagenese, so dass die mit ihnen verbundenen Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden könnten. Ausdrücklich ausgenommen vom Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie bleiben damit jedoch die Verfahren der Mutagenese, die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen angewandt wurden und seit langem als sicher gelten.

Weiterhin stellte der EuGH in seinem Urteil klar, dass die mit Verfahren der Mutagenese gewonnenen Sorten wie alle genetisch veränderten Sorten nur dann zugelassen werden dürfen, wenn alle entsprechenden Maßnahmen getroffen wurden, um nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu vermeiden.

Anmerkung

Mit seinem mit Spannung erwarteten Urteil schlägt der EuGH sich auf die Seite derjenigen, die neuartigen Verfahren der Pflanzenzüchtung im Wege der gezielten genetischen Veränderung skeptisch gegenüberstehen und die damit verbundenen Risiken als vergleichbar mit denjenigen ansieht, die im Zusammenhang mit dem Einsatz fremden Erbgutes bestehen.

Das Urteil stößt auf geteiltes Echo. Während Umweltschutzverbände und die Bundesministerien für Umwelt und für Landwirtschaft das Urteil vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Verbraucher begrüßten, reagierten Pflanzenzüchter und -forscher mit Unverständnis. Ihrer Ansicht nach unterscheiden sich die im Wege der neuen molekularen Züchtungsmethoden gewonnen Pflanzen nicht von klassisch gezüchteten Pflanzen.

Für die Lebensmittelindustrie hat das Urteil zur Konsequenz, dass auch Lebensmittel, die Pflanzen oder Tiere enthalten, die im Wege der Mutagenese verändert wurden, speziellen Zulassungsvoraussetzungen unterliegen und entsprechend zu kennzeichnen sind. Gerade Letzteres dürfte dazu führen, dass Aufsichtsbehörden, Verbraucherschutzverbände und Wettbewerber verstärkt die ordnungsgemäße Kennzeichnung derartiger Lebensmittel überprüfen werden und in Fällen, in denen dies nicht erfolgt, Abmahnungen aussprechen oder Bußgeldverfahren in die Wege leiten werden.

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