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Verstoß gegen das Anzapfverbot durch ungerechtfertigte Rabattforderungen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer aktuellen Grundsatzentscheidung vom 23.01.2018 (KVR 3/17) einige umstrittene Fragen im Zusammenhang mit dem kartellrechtlichen Anzapfverbot geklärt. Ein marktstarkes Unternehmen handelt bereits dann kartellrechtswidrig, wenn es von seinem Lieferanten Konditionen fordert, die in einem offensichtlichen Missverhältnis zur angebotenen Gegenleistung stehen, ohne dass es darauf ankommt, ob das Unternehmen dadurch gegenüber seinen Wettbewerbern besser gestellt wird oder es bei dieser Forderung seine Marktmacht tatsächlich ausnutzt.

Hintergrund

Nach dem sog. „Anzapfverbot“ ist es marktbeherrschenden und marktstarken Unternehmen untersagt, ihre Lieferanten dazu aufzufordern oder zu veranlassen, ihnen ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren. Dieses Verbot wurde seit seiner Einführung im Jahr 1980 immer weiter verschärft, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zunehmenden Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel.

Im Zuge seiner Ermittlungen im Lebensmitteleinzelhandel u.a. gegen EDEKA hatte das Bundeskartellamt in einem Musterverfahren exemplarisch einige Forderungen von EDEKA gegenüber Sektherstellern nach der Übernahme von Plus im Jahr 2008 (sog. „Hochzeitsrabatte“) aufgegriffen und verschiedene Handelspraktiken untersagt. Dabei handelte es sich um die Forderung, das bisher geltende Zahlungsziel rückwirkend auf das für die Plus-Filialen vereinbarte Zahlungsziel anzupassen. Zudem betraf das Verfahren einen „Bestwertabgleich“, d.h. die Anpassung der EDEKA-Konditionen an einzelne jeweils günstigere Konditionsbestandteile von Plus, die sich aus einem Konditionenabgleich an mehreren zeitlich gestaffelten Stichtagen ergeben hatten, die zum Teil deutlich vor dem Vollzug des Zusammenschlusses gelegen hatten. Schließlich hatte das Bundeskartellamt die Forderung der Zahlung einer sog. „Partnerschaftsvergütung“ beanstandet, die EDEKA von seinen Lieferanten gefordert hatte mit dem Argument, damit die Renovierung und Modernisierung der Plus-Filialen zu finanzieren.

Auf die Beschwerde von EDEKA hin hob das OLG Düsseldorf die Verfügung des Bundeskartellamtes auf und begründete seine Entscheidung damit, dass die vereinbarten Vorteile nicht auf der Ausnutzung der Marktmacht von EDEKA beruhten, sondern angesichts der Gegenmacht der Sektlieferanten das Ergebnis von Verhandlungen gleichstarker Partner seien.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 23.01.2018 – KVR 3/17

Der dagegen eingelegten Beschwerde des Bundeskartellamtes gab der BGH statt und bestätigte die Verfügung des Bundeskartellamtes. Er begründet sein Urteil damit, dass es entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf für die Frage der sachlichen Rechtfertigung einer Forderung nicht darauf ankomme, ob diese tatsächlich auf der Ausnutzung von Marktmacht beruhe und anderen gleichartigen Nachfragern nicht zugänglich sei. Entscheidend sei allein, dass EDEKA als marktstarkes Unternehmen anzusehen sei und die Sekthersteller als Lieferanten von EDEKA als Abnehmer abhängig seien. Auf die eigene Größe der Sekthersteller komme es dabei nicht an. Darüber hinaus sei kein Zusammenhang zwischen der Marktmacht und den beanstandeten Verhaltensweisen erforderlich-

Ein Verstoß gegen das Anzapfverbot liegt nach Einschätzung des BGH bereits in der Aufforderung zu sachlich nicht gerechtfertigten Vorteilen, nicht erst in der Vereinbarung. Selbst wenn EDEKA die Forderungen lediglich als Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen gesehen hätte und die Verhandlungen grundsätzlich auf Augenhöhe geführt worden wären, würde dies nichts an der mangelnden sachlichen Rechtfertigung der Forderungen und damit der Kartellrechtswidrigkeit dieser Forderungen ändern.

Einen Vorteil sieht der BGH in jeder Besserstellung des marktstarken Unternehmens gegenüber dem bisherigen Zustand. Eine Besserstellung oder Vorzugsbehandlung gegenüber den Wettbewerbern wird nicht vorausgesetzt.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes war keine der von EDEKA geforderten Konditionen sachlich gerechtfertigt. Das „Rosinenpicken“ im Rahmen des Bestwertabgleiches sei missbräuchlich, weil lediglich die Anpassung an einzelne, günstigere Konditionenbestandteile gefordert werde, ohne dabei das Gesamtpaket zu berücksichtigen. Gleiches gelte für die Forderung der Anpassung der Zahlungsziele. Die „Partnerschaftsvergütung“ als Form der Beteiligung der Lieferanten an den Investitionskosten hält der BGH deshalb für kartellrechtswidrig, weil ihr keine Gegenleistung von EDEKA gegenüberstehe. Diese Vergütung sei pauschal vom Umsatz der Lieferanten mit EDEKA berechnet worden, ohne dass EDEKA umgekehrt den Lieferanten eine leistungsgerechte Gegenleistung in Aussicht gestellt hätte, wie z.B. eine Leistungs- oder Abnahmegarantie für eine bestimmte Dauer.

Anmerkung

Mit seiner jüngsten Entscheidung zum Anzapfverbot verschärft der BGH die Haftung marktbeherrschender und marktstarker Unternehmen zugunsten der Lieferanten und engt deren Handlungsfreiheit deutlich ein. So weist der BGH in seiner Entscheidung mehrfach auf die vertikale Schutzrichtung des Anzapfverbotes zugunsten der Lieferanten hin. Nicht mehr allein die Erzwingung von Vorzugsbedingungen führt zu einem Kartellverstoß, sondern allgemein bereits jeder Vorteil zugunsten des marktstarken Unternehmens, der nicht sachlich gerechtfertigt ist. Zugleich stellt der BGH auch vor dem Hintergrund der jüngsten Gesetzesänderungen unmissverständlich klar, dass bereits das Fordern sachlich nicht gerechtfertigter Leistungen kartellrechtswidrig sein kann, ohne dass diese Forderung tatsächlich Gegenstand der abschließenden Vereinbarung wird. Auch die zuvor umstrittene Frage, ob das Ausnutzen der Marktstellung Voraussetzung für den Kartellverstoß ist, entscheidet der BGH zugunsten der Lieferanten, indem er dies verneint.

Hinsichtlich der Frage, ob allgemeine Investitionen eines Handelsunternehmens die Aufforderung zur Gewährung eines Vorteils rechtfertigen können, schließt der BGH sich zwar zunächst der großzügigeren Auffassung an, indem er auch marktstarken Unternehmen die Freiheit zuspricht, ihre geschäftliche Tätigkeit und ihr Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie sie dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachten. In der konkreten Ausgestaltung hält er die pauschale Beteiligung an den Investitionskosten ohne entsprechende Gegenleistung jedoch für kartellrechtswidrig.

Insgesamt führt die Entscheidung des BGH für marktstarke Unternehmen zu einer erheblichen Beschränkung ihrer Handlungsfreiheit, gerade auch im Zusammenhang mit der Verhandlung von Konditionen mit ihren Lieferanten. Hier ist nach der Entscheidung des BGH nun besondere Vorsicht geboten. Umgekehrt wird die Position der Lieferanten deutlich gestärkt. Ob sich dies allerdings tatsächlich auf die alltägliche Verhandlungspraxis auswirkt, bleibt abzuwarten.

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