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Verfall von Urlaubsansprüchen

Der EuGH hat mit Urteil vom 29.11.2017 (Az. C-214/16) entschieden, dass der Jahresurlaub eines Arbeitnehmers nicht verfällt, wenn der Arbeitgeber ihn nicht in die Lage versetzt hat, diesen auch zu nehmen. Ebenso wenig müsse der Urlaub vom Arbeitnehmer erst genommen werden, um Ansprüche prüfen lassen zu können.

Sachverhalt

Der klagende Herr King war 13 Jahre als Verkäufer auf Provisionsbasis für ein britisches Unternehmen tätig. Deklariert war die Zusammenarbeit als selbstständiges Dienstverhältnis, sein Jahresurlaub wurde ihm daher nicht bezahlt. Er nahm auch keinen in dieser Zeit. Nach der im Jahr 2012 erfolgten Beendigung des Dienstverhältnisses erhob Herr King Klage, unter anderem auch auf Abgeltung des nicht in Anspruch genommenen Urlaubs für den gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung. Die britischen Arbeitsgerichte stellten dabei die Arbeitnehmereigenschaft des Verkäufers fest. Der EuGH hatte im Wege eines Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeals die Fragen zu klären, ob (1) ein Arbeitnehmer seinen Urlaub erst nehmen müsse, bevor er feststellen (lassen) kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf eine Bezahlung hat und (2) der Urlaubsanspruch verfällt, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Urlaub nicht ermöglicht hat.

Entscheidungsgründe

Der EuGH bekräftigt den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts, der nach nationalem Recht in seiner Entstehung nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden dürfe. Der Arbeitnehmer müsse während des Jahresurlaubs das Entgelt erhalten, auf das er Anspruch habe. Demnach verbiete das Unionsrecht nationale Vorschriften, nach denen der Arbeitnehmer seinen Urlaub zunächst nehmen müsse, ehe er feststellen könne, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung habe.

Unter Anknüpfung an seine Schultz-Hoff-Entscheidung (Urteil vom 20.01.2009, C-350/06) bestimmt der EuGH weiter, dass die Richtlinie 2003/88/EG keine Regelung erlaube, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines an der Ausübung dieses Anspruchs gehinderten Arbeitnehmers nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums erlischt. Soweit der EuGH eine Einschränkung für arbeitsunfähige Arbeitnehmer zur Vermeidung unbegrenzter Abgeltungsansprüche für zulässig erachtet hat, hält er vorliegend die Einschränkung für nicht gerechtfertigt. Anders als bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit sei der Schutz der Interessen des Arbeitgebers nicht zwingend notwendig, wenn sich dieser weigere, bezahlten Jahresurlaub zu gewähren. Das Erlöschen der Urlaubsansprüche würde nämlich im Ergebnis ein Verhalten bestätigen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führe und dem eigentlichen Zweck der Richtlinie zuwiderlaufe, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen.

Hinweise für die Praxis

Die Rechtsprechung des EuGH beeinflusst unverändert die nationale Urlaubsrechtsprechung. Das Gericht stellt klar, dass die Durchsetzung des Urlaubsanspruchs beschränkende und seinen Verfall vorsehende Regelungen unwirksam sind und die für das deutsche Recht maßgebliche Schulte-Entscheidung (EuGH, Urteil vom 22.11.2011, C-214/10) eine Ausnahme darstellt. Der darin aufgestellte Grundsatz, bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit könne der Übertragungszeitraum durch den nationalen Gesetzgeber auf 15 Monate beschränkt werden, kann nicht ohne weiteres auf andere Sachverhalte übertragen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene über einen langen Zeitraum zu Unrecht als freier Mitarbeiter geführt werde und während der Dauer des Vertragsverhältnisses keinen Urlaub erhalten habe. Die falsche Bewertung eines freien Mitarbeiterverhältnisses führt demnach auch dazu, dass der Dienstherr als Arbeitgeber die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen weitgehend alleine zu tragen hat, sondern dem Mitarbeiter den nicht gewährten Urlaub für die Vergangenheit abgelten muss.

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