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Lenk- und Ruhezeiten von LKW-Fahrern

Der EuGH hat mit Urteil vom 20.12.2017 (C‑102/16) entschieden, dass im Straßentransportsektor die LKW-Fahrer die ihnen zustehende regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nicht in ihrem Fahrzeug verbringen dürfen. Die reduzierte wöchentliche Ruhezeit dagegen darf nur unter bestimmten Voraussetzungen im Fahrzeug eingelegt werden.

Sachverhalt

Ein belgisches Transportunternehmen erhob im August 2014 Klage auf Nichtigerklärung eines Königlichen Erlasses beim Staatsrat Belgien. Hiernach kann eine Geldbuße iHv. 1.800 EUR verhängt werden, falls der Fahrer die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit in seinem Lkw verbringt. Der Arbeitgeber hält den Erlass für unvereinbar mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen. Das Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug zu verbringen, widerspreche der Unionsverordnung EG Nr. 561/2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates. Der belgische Staat geht davon aus, dass die Unionsverordnung die Fahrer verpflichtet, eine regelmäßige tägliche Ruhezeit von mindestens elf Stunden (die unter bestimmten Voraussetzungen auf neun Stunden reduziert werden darf) sowie eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden (die unter bestimmten Voraussetzungen auf 24 Stunden reduziert werden darf) einzuhalten. Der Raad van State ersuchte den EuGH, die Anforderungen, die an die Verordnung gestellt werden, klarzustellen. Er fragt an, ob davon auszugehen sei, dass die Verordnung ein implizites Verbot enthalte, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug zu verbringen.

Entscheidungsgründe

Der EuGH hat entschieden, dass die Verordnung immer dann, wenn sie gleichzeitig die Begriffe "regelmäßige wöchentliche Ruhezeit" und "reduzierte wöchentliche Ruhezeit" meint, den allgemeinen Ausdruck "wöchentliche Ruhezeit" verwendet. Hinsichtlich der Möglichkeit, die Ruhezeiten im Fahrzeug einzulegen, benutze die Verordnung aber den allgemeinen Ausdruck "tägliche Ruhezeit" – der die regelmäßigen und reduzierten täglichen Ruhezeiten umfasse – sowie den spezifischen Ausdruck "reduzierte wöchentliche Ruhezeit". Da der Unionsgesetzgeber nicht den allgemeinen Ausdruck "wöchentliche Ruhezeit" verwendet habe, um beide Arten wöchentlicher Ruhezeiten zu erfassen, leitet sich daraus nach Auffassung des EuGH offensichtlich ab, dass der Unionsgesetzgeber die Absicht hatte, dem Fahrer zu erlauben, die reduzierten wöchentlichen Ruhezeiten im Fahrzeug zu verbringen, und ihm dies umgekehrt für die regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten zu verbieten. Zudem sei – so der Gerichtshof – wesentliches Ziel der Verordnung die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Personals im Straßentransportsektor sowie die Straßenverkehrssicherheit im Allgemeinen. Der Gesetzgeber habe somit den Fahrern die Möglichkeit geben wollen, ihre regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten an einem Ort zu verbringen, der geeignete und angemessene Unterbringungsbedingungen biete. Eine Lastkraftwagenkabine sei aber offensichtlich kein geeigneter Ort für längere Ruhezeiträume als die täglichen Ruhezeiten und die reduzierten wöchentlichen Ruhezeiten. Wäre daher davon auszugehen, dass die regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten im Fahrzeug eingelegt werden dürften, würde dies bedeuten, dass ein Fahrer alle seine Ruhezeiten in der Fahrzeugkabine verbringen dürfte, was offensichtlich dem mit der Verordnung verfolgten Ziel der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Fahrer zuwiderliefe.

Schließlich weist der EuGH darauf hin, dass die Kommission während des Verfahrens zum Erlass der Verordnung vorgeschlagen hatte, dass die Fahrer die Möglichkeit haben sollten, alle Ruhezeiten (also sowohl die reduzierten und regelmäßigen täglichen Ruhezeiten als auch die reduzierten und regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten) im Fahrzeug zu verbringen. Dieser Vorschlag sei jedoch in der Folge so abgeändert, dass nur eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit nicht am Standort im Fahrzeug verbracht werden könne, nicht aber die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit, und zwar zum Schutze des Wohlbefindens der Fahrer und der für sie herrschenden hygienischen Bedingungen. Diese Abänderung belegt nach Auffassung des Gerichtshofs eindeutig die Absicht des Gesetzgebers, die Möglichkeit, die regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten im Fahrzeug zu verbringen, auszuschließen. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass die Unionsverordnung zur Harmonisierung der Sozialvorschriften im Straßentransportsektor offensichtlich ein Verbot für die Fahrer enthält, ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit in einem Fahrzeug zu verbringen.

Hinsichtlich der zweiten Frage des Raad van State weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen die Unionsvorschriften Straftaten und die für sie angedrohten Sanktionen klar definieren müssen. Da aber das Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug zu verbringen, offensichtlich in der Verordnung enthalten ist und diese die Mitgliedstaaten verpflichtet, für Verstöße gegen diese Verordnung Sanktionen vorzusehen (Art. 19 VO (EG) 561/2006), sei der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen nicht verletzt. Es sei somit Sache der Mitgliedstaaten, festzulegen, welche Sanktionen geeignet sind, um die Geltung und die Wirksamkeit der Verordnung zu gewährleisten, wobei sie darauf achten müssten, dass diese Sanktionen nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln verhängt werden, die denjenigen ähneln, die bei nach Art und Schwere gleichartigen Verstößen gegen das nationale Recht gelten.

Hinweise für die Praxis

Der EuGH bestätigt die u.a. auch in Deutschland bereits seit Frühjahr 2017 angewendete Auslegung der Verordnung, wonach das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Fahrzeug verboten ist und Verstöße mit Bußgeldern geahndet werden. Lastwagenfahrer müssen also nach sechs Fahrtagen eine 45 Stunden lange Ruhezeit einlegen. Diese kann zwar verkürzt werden, so dass eine Pause von mindestens 45 Stunden am Stück nur alle zwei Wochen notwendig ist. Tägliche Ruhezeiten von mindestens neun Stunden sowie verkürzte wöchentliche Ruhezeiten können hingegen weiter im Fahrzeug verbracht werden, wenn geeignete Schlafmöglichkeiten vorhanden sind.

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