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Kündigung – Betriebsübergang – Weiterbeschäftigungsantrag – Auflösungsantrag

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte sich in seinem Urteil vom 24.05.2018 – 17 Sa 105/17 – mit einer äußerst interessanten Sachverhaltskonstellation zu befassen, die durch den zeitlichen Ablauf im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang sowie prozessualen Fragen entstanden war.

Sachverhalt

Ein großes Unternehmen der Versicherungswirtschaft (Beklagte Ziff. 1) hatte in 2016 entschieden, u. a. seinen Vertrieb umzustrukturieren. Dabei sollte u. a. der Bereich „Maklervertrieb“ auf ein anderes, ebenfalls großes Unternehmen des Konzerns (Beklagte Ziff. 2) übertragen werden. Durch die Umstrukturierung sind u. a. von 26 Regionaldirektionen nur noch elf an vier Standorten erhalten und weitergeführt worden. Mit dem Konzernbetriebsrat hatte die Beklagte Ziff. 1 eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, nach der Beendigungskündigungen gegenüber Mitarbeitern, die von der Umstrukturierung des Vertriebs betroffen sind, nicht mit einem Beendigungsdatum vor dem 31.12.2017 erklärt werden.

Der Kläger war einer der Regionaldirektoren, deren Regionaldirektionen im Zuge der Umstrukturierung eingestellt worden sind. Nach Auffassung der Beklagtenseite war er Leitender Angestellter sowohl im betriebsverfassungsrechtlichen als auch im kündigungsschutzrechtlichen Sinne. Da eine Weiterbeschäftigung für den Kläger nicht gesehen wurde und auch eine Sozialauswahl nach Ansicht der Beklagten nicht zu seiner Weiterbeschäftigung geführt hätte, hat die Beklagte Ziff. 1 den bei ihr gebildeten Sprecherausschuss und vorsorglich auch den betrieblich zuständigen Betriebsrat angehört, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 28.09.2016 zum 30.06.2017 gekündigt und den Kläger von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Mit Wirkung zum 31.12.2016 / 01.01.2017 ist der Betrieb „Maklervertrieb“ rechtsgeschäftlich auf die Beklagte Ziff. 2 übergegangen.

Der Kläger hat gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht erhoben und gegen beide Beklagte neben dem klassischen Kündigungsschutzantrag den Antrag gestellt, diese gesamtschuldnerisch zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits als Leiter der Regionaldirektion der Beklagen oder in zumutbarer, gleichwertiger Stellung zu im Übrigen unveränderten Vertragsbedingungen weiter zu beschäftigen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Kündigung ist vom Gericht erster Instanz als sozialwidrig angesehen worden, weil der Kläger hinreichend präzise zu seiner Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einer freien, für ihn geeigneten Arbeitsstelle vorgetragen habe. Diese Stelle sei ab Juli 2017 – damit bereits von der Beklagten Ziff. 2 – besetzt worden. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts habe die Beklagtenseite nicht hinreichend dargetan, dass und aus welchen Gründen eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf dieser freien Stelle nicht möglich gewesen wäre.

Den Weiterbeschäftigungsantrag hat das Gericht erster Instanz abgewiesen, weil die konkrete Weiterbeschäftigungsstelle des Regionaldirektors in der bisherigen Regionaldirektion, in der der Kläger tätig war, unstreitig nicht mehr vorhanden war.

Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte Ziff. 1 Berufung eingelegt. Die Beklagte Ziff. 2 hat ihren Beitritt zum Rechtsstreit als Partei in der Berufungsinstanz erklärt, um einen Auflösungsantrag stellen zu können. Diesem Streitbeitritt hat der Kläger widersprochen. Der Kläger hat beantragt, die Berufung der Beklagten Ziff. 1 zurückzuweisen. Er hat weiter beantragt, den Auflösungsantrag der Beklagten abzuweisen und das Urteil des Arbeitsgerichts in Ziff. 2 abzuändern und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigten.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten Ziff. 1 sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Den Streitbeitritt der Beklagten zu 2 hat das Landesarbeitsgericht als Anschlussberufung angesehen und diese insoweit als unzulässig zurückgewiesen.

Hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags hielt das Landesarbeitsgericht die angefochtene Kündigung mit der erstinstanzlichen Begründung für sozialwidrig und damit rechtsunwirksam.

Der durch die Beklagte Ziff. 2 gestellte Auflösungsantrag sei unzulässig, jedenfalls auch unbegründet, da es sich bei dem Kläger nicht um einen Leitenden Angestellten im Sinne des § 14 Abs. 2 KSchG gehandelt habe, Auflösungsgründe ersichtlich nicht vorgetragen worden seien.

Dabei ist das Landesarbeitsgericht in seiner Begründung der Auffassung, dass die Beklagte Ziff. 2 durch das erstinstanzliche Urteil nicht beschwert gewesen sei, daher selbst keine zulässige Berufung habe einlegen können, dies auch nicht getan habe. Bei dem so bezeichneten Parteibeitritt handele es sich der Sache nach um eine Anschlussberufung, mit dem Zweck, einen Auflösungsantrag stellen zu können. Es liege hier ein Fall der eventuellen subjektiven Klagehäufung vor, die Voraussetzungen des § 533 ZPO seien nicht gegeben, weswegen die Anschlussberufung der Beklagten Ziff. 2 unzulässig sei.

Mit der insoweit einheitlichen Rechtsprechung hat das Landesarbeitsgericht zunächst festgestellt, dass die Beklagte Ziff. 1 keinen Auflösungsantrag zum Ende der Kündigungsfrist habe stellen können, weil im vorliegenden Fall mit dem Ende der Kündigungsfrist aufgrund Arbeitgeberwechsels nach § 613 a BGB nicht mehr die Beklagte Ziff. 1, sondern bereits die Beklagte Ziff. 2 Arbeitgeberin mit allen Rechten und Pflichten geworden sei. Trotzdem sei die Beklagte Ziff. 2 hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages nicht Hauptpartei, weil hier ein Urteil gegenüber der Betriebsveräußerin (vorliegend die Beklagte Ziff. 1) nach den Grundsätzen des § 325 ZPO ihr gegenüber als Rechtsnachfolgerin Bindungswirkung entfalte. Gleichwohl sei sie insoweit auf die Stellung einer Nebenintervenientin verwiesen, die lediglich berechtigt sei, die Hauptpartei zu unterstützen, was allerdings die Stellung eines eigenen Auflösungsantrages ausschließe (§ 67 ZPO).

Die Anschlussberufung des Klägers hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags sei zwar zulässig, indes unbegründet. Gegen die Beklagte Ziff. 1 bestehe kein Weiterbeschäftigungsanspruch mangels Arbeitgebereigenschaft nach Betriebsübergang. Insoweit sei die Beklagte Ziff. 1 auch nicht weiterhin prozessführungsbefugt, es fehle die Passivlegitimation.

Über den Weiterbeschäftigungsanspruch gegen die Beklagte Ziff. 2 musste das Landesarbeitsgericht inhaltlich nicht entscheiden, weil der Kläger seine auch gegenüber der Beklagten Ziff. 2 eingelegte Anschlussberufung aus prozesstaktischen Gründen (Auflösungsantrag) zurückgenommen hatte.

Hinweise für die Praxis

Fazit: Bei der materiell rechtlichen Fallprüfung stellt der Betriebsübergang nach § 613 a BGB lediglich teilweise eine Zäsur dar. So besteht der Weiterbeschäftigungsanspruch jeweils nur gegenüber dem Arbeitgeber, der im fraglichen Zeitraum tatsächlich Arbeitgeber ist. Anders bei der kündigungsschutzrechtlichen Bewertung: Hier musste sich die Beklagte Ziff. 1 angesichts ihrer Kündigung entgegenhalten lassen, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einer freien Stelle erst bei der Beklagten Ziff. 2, also nach dem Betriebsübergang, vorhanden war. Dies ist unter Anwendung des Prognoseprinzips – weil das Entstehen dieser freien Stelle im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs absehbar war - und im Zusammenwirken mit § 613 a BGB gerechtfertigt.

Wieder anders beim Auflösungsantrag: Bei diesem handelt es sich zunächst gem. §§ 9, 10 KSchG um ein materiell-rechtliches Gestaltungsrecht. Wie auch die Geltendmachung des prozessualen Weiterbeschäftigungsanspruchs hängt die Ausübung dieses materiell-rechtlichen Gestaltungsrechtes von einer bestimmten prozessualen Konstellation ab. Hatte jedoch der Kläger durch Klageerhebung und auch Einlegung der Berufung gegen beide Beklagte es in der Hand, einen theoretisch bestehenden materiell-rechtlichen Anspruch prozessual durchzusetzen, soll dies nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts der Beklagten Ziff. 2 verwehrt sein, weil sie – jedenfalls aus eigener Kraft – nicht Hauptpartei des Kündigungsschutzrechtsstreits sein könne. Durch praktische bzw. prozessuale Gestaltung lässt sich gegen dieses Ergebnis auch nichts unternehmen. Mit der gegenteiligen Auffassung in der Literatur und des Landesarbeitsgerichts Köln im Urteil vom 15. Februar 2002 – 4(2) Sa 575/01 muss daher unseres Erachtens das Prozessrecht dem materiellen Recht folgen. Ist der Betriebserwerber nach § 613 a BGB in alle Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses eingetreten, so zählt zu diesen Rechten auch dasjenige, einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG stellen zu können. Dies muss prozessual ermöglicht sein.

Bedauerlicherweise hat das Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg insoweit trotz vorliegender Divergenz zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln die Revision nicht zugelassen. Da es nämlich den Auflösungsantrag auch an der fehlenden Leitendeneigenschaft des Klägers nach § 14 Abs. 2 KSchG hat scheitern lassen, lag insoweit keine vollständige Divergenz vor.

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