Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

»Freistellen lassen – aber richtig!«

Das Bayerische Landessozialgericht hat in seinem Urteil vom 19.09.2017 – L 10 AL 67/17 eine Entscheidung getroffen, die bei der Gestaltung arbeitsrechtlicher Beendigungsvereinbarungen unbedingt berücksichtigt werden muss – jedenfalls auf Arbeitnehmerseite.

Sachverhalt

Das Arbeitsverhältnis des klagenden Arbeitnehmers mit seiner Arbeitgeberin hatte mit dem 30.06.2015 geendet. Bereits seit dem 11.08.2014 war der Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung unwiderruflich von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt worden. Ab dem 01.07.2015 hatte der Kläger Arbeitslosengeld beantragt und bis zum 06.03.2016 erhalten. Im Streit vor den Sozialgerichten war die Höhe des Arbeitslosengeldes.

Die Arbeitsagentur hatte bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts den Bemessungszeitraum festgelegt. Nach § 150 Abs. 1 S. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen wurde dabei gemäß § 150 Abs. 3 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre erweitert, da der Bemessungszeitraum nach Ansicht der Arbeitsagentur weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthielt. Die Arbeitsagentur hatte nämlich den Zeitraum der unwiderruflichen Freistellung ab 11.08.2014 nicht dem Bemessungszeitraum zugerechnet. Da die durchweg höheren Einkünfte des Klägers jeweils nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wurden, die Beitragsbemessungsgrenze jedoch in dem erweiterten Zeitraum ab Juli 2013 bis Juli 2014 geringer war als danach, ergab sich dadurch eine geringere Arbeitslosengeldhöhe zulasten des Klägers.

Das Sozialgericht hatte zugunsten des Klägers entschieden.

Auf die Berufung der beklagten Bundesagentur ist das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen worden.

Entscheidungsgründe

Das Landessozialgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass es für den Bemessungszeitraum auf das Bestehen eines leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ankomme. Dafür sei – unter Verweis auf BSG, Urteil vom 08.07.2009 - B 11 AL 14/08 R - SozR 4-4300 § 130 Nr 6 - mwN – nicht die beitragsrechtliche Beurteilung maßgeblich, sondern alleine, ob der Kläger tatsächlich beschäftigt worden ist.

Die Nichtberücksichtigung von erst nach dem Ausscheiden aus dem – leistungsrechtlichen – Beschäftigungsverhältnis zugeflossenen Zahlungen entspreche auch dem Ziel des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, bei der Arbeitslosengeldberechnung aus Vereinfachungsgründen nur noch Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu erfassen und alle übrigen Versicherungspflichtverhältnisse außer Betracht zu lassen.

Dementsprechend habe ein leistungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis nur bis 10.08.2014 bestanden. Ab dem 11.08.2014 war der Kläger bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 30.06.20015 unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt. Der Arbeitgeber hat den Kläger demzufolge nicht mehr beschäftigt und er hat auf die Ausübung seines Direktionsrechts verzichtet. Damit sei das Beschäftigungsverhältnis nach dem 10.08.2014 beendet gewesen, ohne dass die Weitergewährung der Bezüge hieran etwas geändert habe. Letztendlich habe die Fortzahlung der Bezüge eher den Charakter einer Abfindungszahlung im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Arbeitsentgelte, die Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind, würden nach § 151 Abs. 2 Nr. 1 SGB III bei der Berechnung des Bemessungsentgelts außer Betracht bleiben -, was auch dadurch deutlich werde, dass bei einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger die noch zustehenden Gehälter bis Juni 2015, dem eigentlich vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses, kapitalisiert und zu 100% der Abfindung zugeschlagen worden wären (sog. Turboklausel). Statt das Arbeitsverhältnis bereits zum 10.08.2014 zu beendigen und eine Abfindung unter Berücksichtigung eines fiktiven Lohns für die Zeit vom 11.08.2014 bis 30.06.2015 zu vereinbaren, sei der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung unwiderruflich freigestellt worden und habe seinen Lohn für diese Zeit weiter erhalten.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil überzeugt im Ergebnis und in der Begründung nicht. Insbesondere der Vergleich mit einer Abfindungszahlung, bekanntlich sozialversicherungsbeitragsfrei und steuerlich leicht privilegiert, trägt nicht, weil die Arbeitsvertragsparteien sich bewusst für die gewählte Gestaltung entschieden haben und dadurch den Sozialversicherungsträgern die entsprechenden Beiträge zugeflossen sind. Wenn für das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis das Fortbestehen des Arbeitgeber-Direktionsrechts maßgeblich sein soll, kann es zudem nicht auf die tatsächliche Beschäftigung ankommen, sondern allenfalls darauf, dass dieses Direktionsrecht fortbesteht – unabhängig davon, ob es ausgeübt wird, wie es ausgeübt wird, oder ob es nicht ausgeübt wird. Die Begründung des Landessozialgerichts ist insoweit missverständlich und nicht eindeutig.

In jedem Falle wird diese Rechtsprechung bei der Gestaltungberatung im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen auf Arbeitnehmerseite zu beachten sein. Als denkbarer Lösungsweg bietet sich – wie in anderem Zusammenhang vor einigen Jahren schon einmal – an, von Seiten des Arbeitgebers eine einseitige und jederzeit widerrufliche Freistellung vorzunehmen, weil dadurch das Direktionsrecht erhalten bleibt, auch wenn es nicht dahin ausgeübt wird, den Arbeitnehmer wieder zur Arbeitsleistung anzuweisen.

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