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Fiktion eines Arbeitsverhältnisses - Verwirkung des Rechts, sich auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu berufen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 20.03.2018 (9 AZR 508/17) entschieden, dass die widerspruchslose Wiederaufnahme der Arbeit im Betrieb des Verleihers nach Beendigung der Tätigkeit bei einem Entleiher regelmäßig noch nicht das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment erfüllt. Die bloße Nichtergreifung von Maßnahmen durch den Leiharbeitnehmer gegen seine Abberufung vom Entleiher begründe bei diesem ohne Hinzutreten weiterer Umstände noch kein schützenswertes Vertrauen, der Leiharbeitnehmer werde keine Rechte aus dem nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG mit dem Entleiher zustande gekommenen Arbeitsverhältnis geltend machen.

Sachverhalt

Der Kläger schloss am 27.11.2007 mit der K GmbH einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Servicetechniker und nahm seine Tätigkeit bei der K GmbH am 01.12.2017 auf. Ab dem 01.01.2008 bis zum 31.03.2014 wurde der Kläger bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, eingesetzt. Ab April 2014 arbeitete der Kläger dann – auf Anweisung der K GmbH – wieder in deren Betriebsräumen. Über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügte die K GmbH erst seit dem 05.09.2014.

Die K-GmbH kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 28.02.2017; hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage.

Bereits zuvor, am 30.12.2015, hat der Kläger beim Arbeitsgericht beantragt, festzustellen, dass zwischen der Beklagten und ihm seit dem 01.01.2008 ein Arbeitsverhältnis besteht. Er ist der Ansicht, er sei für die Beklagte nicht im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrags tätig geworden, sondern dieser zur Arbeitsleistung überlassen worden. Da die K-GmbH zum damaligen Zeitpunkt nicht über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügte, sei nach § 10 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 9 Nr. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zustande gekommen. Die Klage ist der Beklagten am 11.01.2016 zugestellt worden. Sie wendet ein, der Kläger habe sein Recht, sich auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten kraft gesetzlicher Fiktion zu berufen, verwirkt. Der Kläger habe sich erstmals durch die Klageerhebung knapp ein Jahr und neun Monate nach Beendigung seiner Tätigkeit im Betrieb der Beklagten auf das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit ihr berufen. Sie habe nicht damit rechnen müssen, nach Ablauf eines solchen Zeitraums noch als Arbeitgeberinnen in Anspruch genommen zu werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht (LAG) das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und festgestellt, dass zwischen den Parteien vom 01.01.2008 bis zum 31.03.2014 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat; im Übrigen hat das LAG die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers vor dem BAG hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das BAG erachtete den Feststellungsantrag als begründet. Zwischen den Parteien sei kraft gesetzlicher Fiktion nach § 10 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 9 Nr. 1 AÜG mangels Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis der K GmbH zum maßgeblichen Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Dieses bestehe auch über den 31.03.2014 hinaus fort, Beendigungsgründe habe die Beklagte nicht vorgetragen.

Der Kläger habe das Recht, sich auf das Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten über den 31.03.2014 hinaus zu berufen, nicht materiell gemäß § 242 BGB verwirkt. Es bedürfe im Streitfall keiner Entscheidung, ob das Recht, sich auf den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses zu berufen, überhaupt verwirklichen kann. Denn die Voraussetzungen für die Verwirkung seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Die Verwirkung sei ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und solle dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie habe nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb könne allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Zu diesem Zeitmoment müssten vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten Hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die spätere Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar anzusehen. Der Berechtigte müsse unter solchen Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, sodass sich der Verpflichtete darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.

Die widerspruchslose Wiederaufnahme der Arbeit durch den Kläger im Betrieb der K GmbH nach Beendigung seiner Tätigkeit bei der Beklagten ab dem 01.04.2014 stelle keinen Gesichtspunkt dar, durch den das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment erfüllt werde. Die Beklagte habe aus diesem Grund nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger das Zustandekommen und das Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses mit ihr nicht geltend machen würde. Selbst eine jahrelange Untätigkeit reiche für sich allein genommen für den Verwirkungseinwand nicht aus.

Der Kläger habe seine Tätigkeit bei der Beklagten auch nicht aufgrund der Kündigung der K GmbH eingestellt, die erst zu einem Zeitpunkt ausgesprochen worden ist, als der Kläger seine Tätigkeit bei der Beklagten längst eingestellt und seine Rechtsposition gegenüber der Beklagten mit seiner Klage vom 30.12.2015 bereits geltend gemacht hatte. Auch die Erhebung der Kündigungsschutzklage gegen seine Vertragsarbeitgeberin, die K GmbH, sah das BAG nicht als ausreichend an, das Umstandsmoment zu erfüllen. Denn die Erhebung einer Kündigungsschutzklage sei jedenfalls keine Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses, da es durch sie nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses komme.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des BAG zeigt deutlich, dass die Risiken einer Arbeitnehmerüberlassung für die beteiligten Unternehmen nicht unterschätzt werden dürfen. Auch bei vermeintlich abgeschlossenen Sachverhalten kann, wie das BAG ausdrücklich klarstellt, grundsätzlich sogar noch Jahre später geltend gemacht werden, es bestehe ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher. Arbeitgebern ist daher zu raten, bei Arbeitnehmerüberlassungen stets sorgfältig zu prüfen, ob die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher in Betracht kommt und welche Maßnahmen bei Beendigung der Überlassung getroffen werden können, um derartige Risiken zu minimieren.

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