Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

„Ein Schritt vor und wieder zurück“ – sachgrundlose Befristung und „Zuvor-Beschäftigung“

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 06.06.2018 der Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts zum Vorbeschäftigungsverbot bei der sachgrundlosen Befristung in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG die Grundlage entzogen. Danach gilt grundsätzlich: Bei jedweder Vorbeschäftigung in einem Arbeitsverhältnis – egal wie lange sie zurückgelegen haben mag – ist bei einer Einstellung die Vereinbarung einer sachgrundlosen Befristung nicht rechtswirksam.

Sachverhalt

Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist eine sachgrundlose Befristung nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Durch Urteil vom 06.04.2011 hatte der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts – 7 AZR 716/09 – im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entschieden, dass nach der zitierten Bestimmung eine Vorbeschäftigung der rechtswirksamen Vereinbarung einer sachgrundlosen Befristung dann nicht entgegenstehe, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt.
Aufgrund der Vorlage durch ein Arbeitsgericht sowie einer Verfassungsbeschwerde hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit den Fragen zu befassen, ob die Bestimmung nach wörtlicher Auslegung mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist; des Weiteren war zu prüfen, ob die richterliche Rechtsfortbildung des Bundesarbeitsgerichts mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar ist, oder die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung dadurch überschritten sind.

Entscheidungsgründe

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist die Zulässigkeit der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit, beschränkt auf die erstmalige Beschäftigung beim jeweiligen Vertragsarbeitgeber, mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG grundsätzlich vereinbar. Dabei beeinträchtige die Regelung die Vertragsfreiheit beider Arbeitsvertragsparteien und wirke sich darüber hinaus auch negativ auf die Berufsauswahlfreiheit der Bewerberinnen und Bewerber auf einen Arbeitsplatz aus, weil der Ausschluss einer rechtswirksam möglichen sachgrundlosen Befristung sich in der Konkurrenz um einen Arbeitsplatz nachteilig gegenüber den anderen Bewerbern auswirke. Diese Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Freiheiten sei indes gerechtfertigt, um die Gefahr von Kettenbefristungen in Ausnutzung einer strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten auszuschließen und dem gewünschten Regelfall einer unbefristeten Beschäftigung zur Durchsetzung zu verhelfen.

Die Legitimation des Gesetzgebers für die Rechtssetzung der Norm resultiere aus der staatlichen Schutzpflicht im Arbeitsrecht, die ebenfalls Verfassungsrang habe. Bei der Entscheidung, wie dieser Schutzpflicht nachgekommen werden solle, habe der Gesetzgeber einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Diesen Rahmen habe der Gesetzgeber vorliegend eingehalten, weil die Norm zur Erreichung des legitimen Ziels, nämlich des Arbeitnehmerschutzes, geeignet und auch erforderlich sei, da nicht erkennbar sei, dass es ein gleichwirksames, die Grundrechtsberechtigten weniger beeinträchtigendes Mittel zur Zweckerreichung gebe. Auch nach Abwägung der zu schützenden und durch die Schutzbestimmung beeinträchtigten Grundrechtspositionen sei ein angemessener Ausgleich erreicht.

Auch aufgrund internationaler zu beachtender Normen folge kein anderes Ergebnis.

Falls in einzelnen, besonders gelagerten Ausnahmekonstellationen (lang zurückliegende geringfügige Nebenbeschäftigung, Schüler- und Studentjobs, Werksstudierende und studentische Mitarbeiter im Rahmen der Berufsqualifizierung etc.) das einschränkungslose Verbot einer sachgrundlosen Befristung nach Vorbeschäftigung unzumutbar wäre, seien die Fachgerichte berechtigt und aufgerufen, in diesen Fällen durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich der Norm einzuschränken.

Dagegen habe das Bundesarbeitsgericht durch seine Normauslegung in dem Urteil vom 06.04.2011 die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschritten. Richterliche Rechtsfortbildung dürfe nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzten. Eine Norminterpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greife unzulässig in die Kompetenz des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein, sei daher rechtsunwirksam. Ausgehend vom Wortlaut der Norm und der daraus sich ergebenden gesetzgeberischen Grundentscheidung, habe sich das Bundesarbeitsgericht in seiner Rechtsprechung davon gelöst und die gesetzgeberische Grundentscheidung durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzt. Neben dem Normwortlaut ergebe sich auch aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte der Norm, welche gesetzgeberische Konzeption der Norm zugrunde liege. Dieser Konzeption widerspreche die Auslegung des Bundesarbeitsgerichts.

Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb die arbeitsgerichtliche Vorlagefrage dahin beantwortet, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG mit dem Grundgesetz bei eingeschränkter Anwendung auf Fälle, in denen die Gefahr der Kettenbefristung und einer Abkehr von unbefristeter Beschäftigung als Regelfall bestehen, vereinbar ist.

Aufgrund der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde war die zurückweisende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gegenstandslos, wurde die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Hinweise für die Praxis

Trotz der einschränkenden Beantwortung der Vorlagefrage (… in denen die Gefahr von Kettenbefristung und …) sowie dem Hinweis an die Fachgerichte, dass bei extremen Ausnahmesituationen die Fachgerichte berechtigt und aufgerufen seien, die Norm verfassungskonform einschränkend auszulegen, muss bei der Einstellungspraxis im Zusammenhang mit sachgrundlosen Befristungen dringend empfohlen werden, sich an den Grundsatz zu halten, der auch vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2011 aus der Wortlautauslegung der Norm abgeleitet worden ist:

„Nicht bereits zuvor heißt niemals!“

Kontakt > mehr