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Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds

Das BAG hat mit Urteil vom 25.04.2018 (Az.: 2 AZR 401/17) entschieden, dass dann, wenn das Arbeitsverhältnis des einzigen Betriebsratsmitglieds gekündigt werden soll und ein gewähltes Ersatzmitglied fehlt, der Arbeitgeber analog § 103 II BetrVG unmittelbar im Beschlussverfahren die Zustimmungsersetzung einzuholen hat, da ein beteiligungsfähiger Betriebsrat nicht existiert.

Infolge der spezifischen Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung im Zustimmungsersetzungsverfahren kann sich der in diesem Verfahren beteiligte Arbeitnehmer im nachfolgenden Kündigungsschutzverfahren in Bezug auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB nur auf solche Tatsachen berufen, die er im Zustimmungsersetzungsverfahren nicht geltend gemacht hat und auch nicht hätte geltend machen können.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten als Fachverkäufer beschäftigt und bekleidete dort das Amt des einköpfigen Betriebsrats ohne Ersatzmitglieder.

Auf einen Antrag der Beklagten vom 13.02.2015 ersetzte das Arbeitsgericht am 02.06.2015 die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung.

Das Landesarbeitsgericht wies die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers zurück. Es sah einen wichtigen Grund iSd § 626 I BGB wegen wiederholt unzulässiger Konkurrenztätigkeit des Klägers als gegeben an und hielt die Kündigungsfrist des § 626 II BGB für gewahrt. Die Beklagte habe innerhalb von zwei Wochen, nachdem sie Kenntnis von den kündigungsrelevanten Tatsachen erlangt habe, das Verfahren entsprechend § 103 II BetrVG eingeleitet.

Die gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde gerichtete Beschwerde des Klägers verwarf der Senat am 02.06.2016 mit Beschluss als unzulässig. Dieser wurde der Beklagten am 16.06.2016 zugestellt. Mit Schreiben vom selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

Gegen die Kündigung hat sich der Kläger mit Kündigungsschutzklage gewandt und geltend gemacht, dass die Bindungswirkung nicht die Wahrung der Kündigungsfrist umfasse. Auch habe die Beklagte spätestens am 22.01.2015 volle Kenntnis von den kündigungsrelevanten Tatsachen gehabt.

Der Kläger hatte erst- und zweitinstanzlich keinen Erfolg. Auch mit seiner Revision beim BAG blieb der Kläger erfolglos.

Entscheidungsgründe

Das BAG hält die außerordentliche Kündigung der Beklagten für wirksam.

Es könne dahinstehen, ob im Kündigungsschutzprozess noch geltend gemacht werden könnte, der Betriebsrat sei vor Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens nicht ordnungsgemäß nach §§ 103 I, 102 I BetrVG um seine Zustimmung ersucht worden. Im Streitfall habe es eines solchen Ersuchens nicht bedurft. Denn solle – wie hier – das Arbeitsverhältnis des einzigen Betriebsratsmitglieds gekündigt werden und fehlt ein gewähltes Ersatzmitglied, habe der Arbeitgeber analog § 103 II BetrVG unmittelbar im Beschlussverfahren die Zustimmungsersetzung einzuholen. Ein beteiligungsfähiger Betriebsrat existiere in diesem Fall nicht. Das betroffene – einzige – Betriebsratsmitglied könne wegen rechtlicher Verhinderung iSv § 25 I 2 BetrVG aufgrund seiner Selbstbetroffenheit nicht beteiligt werden.

Für die außerordentliche Kündigung habe auch ein wichtiger Grund iSd § 626 I BGB bestanden. Dies stehe aufgrund der Bindungswirkung des rechtskräftig abgeschlossenen Zustimmungsersetzungsverfahrens auch für das vorliegende Kündigungsschutzverfahren fest. Diese Bindungswirkung sei eine notwendige Folge des von § 103 II BetrVG vorgegebenen engen Zusammenhangs zwischen beiden Verfahren.

Die Beklagte habe auch die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 II BGB bei der Einleitung des Zustimmungsverfahrens gewahrt. Das Gericht habe bereits im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 II BetrVG zu prüfen, ob dieses innerhalb der Frist des § 626 II BGB eingeleitet worden ist. Die rechtzeitige Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens ist deshalb von der Bindungswirkung eines dieses rechtskräftig abschließenden Zustimmungsersetzungsbeschlusses ebenfalls umfasst.

Hinweise für die Praxis

Das BAG hat klargestellt, dass sich ein Arbeitnehmer in einem nachfolgenden Kündigungsschutzverfahren bezüglich des Vorliegens eines wichtigen Grundes iSv § 626 BGB nicht mehr auf solche Tatsachen berufen kann, die er bereits im Zustimmungsersetzungsverfahren hätte geltend machen können. Denn bereits im Zustimmungsersetzungsverfahren hat das Gericht zu prüfen, ob die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Der Entscheidung im Zustimmungsersetzungsverfahren ist daher präjudizielle Bindungswirkung für den Kündigungsschutzprozess beizumessen.

Dabei ist zu beachten, dass sich die Bindungswirkung auch auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist hinsichtlich der Einleitung des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens erstreckt. Danach muss innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen in entsprechender Anwendung des § 626 Abs. 2 BGB die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates beim Arbeitsgericht beantragt werden, da andernfalls der Ersetzungsantrag unbegründet ist.

Etwas anderes gilt hingegen bei der Frage, ob die Kündigung unverzüglich nach Eintritt der formellen Rechtskraft des Zustimmungsersetzungsbeschlusses auch erklärt worden ist. Denn ob die Kündigung deswegen unwirksam ist, kann der Arbeitnehmer – so das BAG – zwangsläufig nicht schon im Zustimmungsersetzungsverfahren, sondern erst im Kündigungsrechtsstreit geltend machen.

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