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Auslegung einer Bezugnahmeklausel nach Änderungskündigung

Das BAG hat mit Urteil vom 27.03.2018 (4 AZR 208/17) entschieden, dass bei Arbeitsverträgen, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 abgeschlossen worden sind (so genannte Altverträge), die Auslegung einer Bezugnahmeklausel als „Gleichstellungsabrede“ im Sinne der früheren Rechtsprechung nicht – mehr – zum Tragen kommt, wenn sie nach dem 31.12.2001 geändert worden sind. Ein so genannter Neuvertrag liegt nur vor, wenn die Verweisungsklausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Parteien des Änderungsvertrags gemacht worden ist.

Enthält das im Rahmen einer Änderungskündigung abgegebene Angebot die Erklärung „alle übrigen Vertragsbedingungen würden unverändert bleiben“ und gehört zu diesen die dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, hindert dies in der Regel die Annahme eines „Altvertrags“, wenn der Arbeitnehmer das Angebot annimmt und das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird.

Die Bindung des Betriebserwerbers an die vom Betriebsveräußerer mit dem Arbeitnehmer individualrechtlich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag verstößt nicht gegen Unionsrecht. Der Erwerber kann die erforderlichen Anpassungen sowohl einvernehmlich im Wege des Änderungsvertrags als auch einseitig durch Erklärung einer – sozial gerechtfertigten – Änderungskündigung vornehmen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen auf ihr Arbeitsverhältnis.

Die Klägerin war bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin seit 1992 beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verwies auf die Bestimmungen der Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen „in ihrer jeweils geltenden Fassung.“

Mit Schreiben vom 24.04.2009 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich zum 31.10.2009 und bot ihr zugleich an, sie über diesen Termin hinaus zu veränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen. In dem Schreiben heißt es dazu unter anderem: „Alle übrigen Vertragsbedingungen würden unverändert bleiben.“

Die Klägerin nahm das Änderungsangebot an.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten trat mit Ablauf des 31.12.2011 aus dem Arbeitgeberverband aus und gab die zum 01.07.2012 im Gehaltstarifvertrag vorgesehene Erhöhung der Vergütung noch an die Klägerin weiter.

Am 01.01.2013 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege eines Betriebsübergangs auf die Beklagte über, die nicht tarifgebundenes Mitglied eines Arbeitgeberverbands ist.

Tariferhöhungen gab die Beklagte nicht weiter.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin daher Differenzen zwischen dem ihr gezahlten Gehalt und dem Entgelt der Gehaltsgruppe des jeweils aktuellen Gehaltstarifvertrags eingeklagt.

Die Klägerin hatte erst- und zweitinstanzlich keinen Erfolg. Die Revision der Klägerin beim BAG war erfolgreich.

Entscheidungsgründe

Das BAG hat entschieden, dass die Bezugnahmeklausel unbedingt zeitdynamisch auf die – aktuellen – Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen verweisen würde.

Die Vorinstanzen haben zwar zutreffend angenommen, dass es sich um eine so genannte Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des BAG gehandelt habe. Die unter dem 21.12.1999 und damit vor dem Stichtag des 01.01.2002 geschlossene Änderungsvereinbarung habe daran auch nichts geändert.

Aufgrund der in Folge der Änderungskündigung vom 24.04.2009 zustande gekommenen Änderungsvereinbarung liege dem Arbeitsverhältnis der Parteien nunmehr jedoch ein so genannter Neuvertrag zugrunde, der die Tarifverträge dynamisch in Bezug nimmt.

Dabei komme es für die Beurteilung, ob es sich hinsichtlich der Auslegung dieser Klausel um einen „Neu-“ oder „Altvertrag“ handelt, maßgebend darauf an, ob die Klausel – erneut – zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist.

Rechtsfehlerhaft habe das LAG dies abgelehnt. Das LAG habe die im Änderungsangebot verwandte Formulierung „alle übrigen Vertragsbedingungen würden unverändert bleiben“ nicht näher darauf überprüft, ob damit nicht auch Nr. 2 des Arbeitsvertrags zum Gegenstand der Erklärung gemacht worden ist. Denn mit dieser Formulierung habe die Rechtsvorgängerin der Beklagten deutlich zum Ausdruck gebracht, alle übrigen Vertragsklauseln, die aktuell keiner Änderung unterliegen sollten, seien ebenfalls geprüft worden und sollten nicht umformuliert werden. Eine solche Umformulierung der Bezugnahmeklausel wäre aber nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform erforderlich gewesen, damit eine Bezugnahme auch weiterhin nur für den Fall einer Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin bestehen sollte.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil des BAG macht nochmals deutlich, dass bei dynamisch formulierten Bezugnahmeklauseln in Zweifelsfällen zu prüfen ist, ob ein Alt- oder ein Neuvertrag vorliegt. Hierbei ist es entscheidend, ob die Bezugnahmeklausel im Änderungsvertrag zum Gegenstand rechtsgeschäftlicher Willensbildung der hieran beteiligten Vertragsparteien gemacht worden ist. Wird ein Altvertrag nach dem 31.12.2001 geändert, kommt es daher maßgeblich auf den Wortlaut an. Im Unterschied zum hier entschiedenen Fall sah das BAG beispielsweise in einer nach dem 31.12.2001 erfolgten Vertragsänderung gewählten Formulierung „Des Weiteren bleibt es bei den bisherigen Arbeitsbedingungen“ keinen Neuvertrag hinsichtlich der im Altvertrag enthaltenen Bezugnahmeklausel. Denn insofern seien Bezugspunkt der vertraglichen Regelungen im Änderungsvertrag nicht die vertraglichen Abreden, sondern die „bisherigen Arbeitsbedingungen“, also tatsächliche Umstände (BAG Urteil vom 19.10.2011 – 4 AZR 811/09).

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