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Anrechnung anderweitigen Verdienstes auf Annahmeverzugslohn

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 02.10.2018 entschieden, dass bei der Anrechnung anderweitigen Verdienstes auf die Vergütung wegen Annahmeverzugs nach §11 Nr.1 KSchG grundsätzlich die zur Erzielung des anderweitigen Verdienstes erforderlichen Aufwendungen von diesem in Abzug gebracht werden können. Zu berücksichtigen seien dabei Aufwendungen, die im Rahmen der vorhandenen Qualifikation des Arbeitnehmers zur Fortführung einer fachkundigen Erwerbstätigkeit erforderlich sind. Nicht berücksichtigungsfähig seien dagegen Aufwendungen, die die Qualifikation erhöhen, ohne dass hierfür ein Bedarf hinsichtlich der Ausübung der geschuldeten Tätigkeit bestünde.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs nach unwirksamer Kündigung. Der Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin als Verkehrsflugzeugführer beschäftigt und dort auf dem Flugzeugtyp Fokker 100 eingesetzt. Der Insolvenzverwalter kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22.04.2013 zum 31.07.2013. Das BAG hat mit Urteil vom 20.01.2016 die Unwirksamkeit dieser Kündigung wegen fehlender Massenentlassungsanzeige festgestellt.

Ab dem 12.06.2014 war der Kläger bei einem anderen Arbeitgeber als Verkehrsflugzeugführer beschäftigt. Mit seiner Klage hat er Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 12.06.2014 bis zum 31.01.2015 geltend gemacht. Er ist der Auffassung, von dem in dieser Zeit erzielten Zwischenverdienst seien die angefallenen Aufwendungen für den Erwerb von Musterberechtigungen für die Flugzeugtypen Airbus A320 und Boeing 757/767 in Abzug zu bringen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hingegen auf die Berufung des Klägers den Beklagten zur Zahlung des Annahmeverzugslohns unter Anrechnung des Zwischenverdienstes abzüglich der Aufwendungen des Klägers verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Beklagten war überwiegend erfolgreich.

Entscheidungsgründe

Der Zwischenverdienst des Klägers ist nach Ansicht des BAG nach §11 Nr.1 KSchG von der Vergütung wegen Annahmeverzug in Abzug zu bringen. Der vom Kläger erzielte Zwischenverdienst sei nicht um die behaupteten Aufwendungen für Schulungen auf den Flugzeugmustern Airbus A320 und Boeing 757/767 gemindert.

Die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach §11 Nr.1 KSChG bezwecke, eine Besserstellung oder Schlechterstellung des Arbeitnehmers nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess zu vermeiden. Er sei so zu stellen, als wäre das Arbeitsverhältnis ungekündigt weitergeführt worden. Damit könnten grundsätzlich auch erforderliche Aufwendungen zur Erzielung des anderweitigen Verdienstes von diesem in Abzug gebracht werden. Dies gelte jedoch nicht für jegliche Aufwendungen für eine weitere Berufstätigkeit des Arbeitnehmers. Zu unterscheiden sei zwischen Aufwendungen, die erforderlich sind, um im Rahmen der bisherigen Qualifikation des Arbeitnehmers einer weiteren Erwerbstätigkeit fachkundig und sachgerecht nachgehen zu können, und solchen, die im Sinne einer Fortbildung die Qualifikation des Arbeitnehmers erhöhen, ohne dass diese Qualifikation zur Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit benötigt wird. Zur ersten Kategorie gehörten Aufwendungen, die dazu dienen, eine vorhandene Qualifikation, die in dem gekündigten Arbeitsverhältnis zur Verrichtung der geschuldeten Tätigkeit erforderlich war, zu behalten. Anders zu beurteilen seien hingegen Aufwendungen, die der Arbeitnehmer hat, um sich weiter zu qualifizieren und hierdurch seinen „Marktwert“ auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, ohne dass die hierbei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten dem Arbeitgeber unmittelbar zugutekommen. Die Berücksichtigung solcher Aufwendungen als zwischenverdienstmindernd widerspräche dem Zweck des §11 Nr.1 KSchG. Denn anderenfalls führe dies dazu, dass der Arbeitgeber diese Qualifizierungsmaßnahme voll bezahlt, ohne ihr zugestimmt und ohne hiervon im Falle der Unwirksamkeit der Kündigung einen Nutzen zu haben. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht verpflichtet, sich an den Kosten einer Qualifizierung des Arbeitnehmers zu beteiligen, die für diesen von geldwertem Vorteil ist.

Hinweise für die Praxis

Diese Entscheidung des BAG, die die Minderung von erzieltem Zwischenverdienst im Falle von unwirksamen Kündigungen einschränkt, ist zu begrüßen. Denn andernfalls könnte ein Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Kündigung den eigenen „Marktwert“ auf Kosten des Arbeitgebers erhöhen, ohne dass dieser von der Qualifizierungsmaßnahme einen Nutzen hat oder gar zustimmen müsste. Die Entscheidung dürfte zudem auf andere Fälle des Annahmeverzugs, die §615 BGB regelt, übertragbar sein.

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