barbara mayer gesellschaftsrecht 5.jpgtheresa ohnemus gesellschaftsrecht 1.jpg

Anwaltsvertrag als Fernabsatzgeschäft?!

Anwaltsverträge können den Regeln für den Fernabsatz unterfallen und als solche auch widerrufen werden. Das gilt allerdings nur, wenn es sich bei dem Mandanten um einen Verbraucher handelt und wenn der Mandatsvertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems geschlossen wurde (BGH vom 23.11.2017).

Widerruf des Anwaltsvertrags

In dem Fall, der der Entscheidung zugrunde lag, war der Beklagte an einer Fondsgesellschaft beteiligt. Er erhielt von einer (im Urteil nicht näher beschriebenen) Gesellschaft ein Schreiben, in dem diese ihre Dienste anbot und dem eine auf die klagende Anwaltskanzlei lautende Anwaltsvollmacht beigefügt war. Die Kanzlei hatte der Gesellschaft zuvor Blankoformulare für eine Vielzahl von potentiellen Mandanten zur Verfügung gestellt. Der Beklagte sandte die unterzeichnete Anwaltsvollmacht an die Gesellschaft zurück, die die Unterlagen dann an die Anwaltskanzlei weitergab. Zwischen der Kanzlei und dem Beklagten gab es keinen persönlichen Kontakt. Die Kanzlei machte daraufhin mittels eines Serienbriefs Ansprüche des Beklagten gegen die Fondsgesellschaft geltend. Anschließend rechnete sie gegenüber dem Beklagte über ihre Tätigkeit ab; der Beklagte wies die Honorarforderung zurück und erklärte sogleich den Widerruf der Anwaltsvollmacht.

BGH: Fernabsatzrecht anwendbar

Der Bundesgerichtshof entschied, dass Anwaltsverträge als Verträge über die Erbringung einer Dienstleistung den Regeln über Fernabsatzverträge unterworfen sein können. Die gegenteilige Auffassung, wonach die Anwendung des Fernabsatzrechts bei Anwaltsverträgen aufgrund der im Vordergrund stehenden persönlichen Erbringung von Dienstleistungen nicht gerechtfertigt sei, überzeugte den BGH nicht. Der Begriff der Dienstleistung sei mit Blick auf die unionsrechtliche Herkunft und den mit dem Fernabsatzrecht verfolgten Zweck des Verbraucherschutzes weit auszulegen. Ferner habe der Gesetzgeber einzelne Dienstleistungsverträge vom Anwendungsbereich des Fernabsatzrechtes ausgenommen – der Anwaltsvertrag sei davon aber gerade nicht erfasst. Die Unanwendbarkeit des Fernabsatzrechtes auf Anwaltsverträge würde auch der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Die Existenz und Zulässigkeit sog. Anwalts-Hotlines und „Telekanzleien“ belege, dass auch Rechtsanwälte moderne Vertriebsformen unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln für den Abschluss von Beraterverträgen nutzen.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Fernabsatz-Regelungen ist allerdings, dass der Vertrag ohne persönlichen Kontakt unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems geschlossen wurde. Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem liegt nach der BGH-Entscheidung vor, wenn der Anwalt in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen. Nicht ausreichend ist, dass der Anwalt die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz vorhält, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse. Denn diese Möglichkeiten sind generell zum Betrieb einer Anwaltskanzlei erforderlich. Es muss sich vielmehr um ein erkennbares System der Akquise und/oder Abwicklung des Anwaltsvertrags als Distanzgeschäft ohne persönlichen Kontakt handeln. Der BGH sah ein solches System in dem entschiedenen Fall als gegeben an. Denn die klagende Anwaltskanzlei hatte sich – durch die Ausgabe von vorbereiteten Blanko-Formularen – bewusst der Beratungsgesellschaft bedient, um eine Vielzahl von Mandanten ohne persönlichen Kontakt und unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu gewinnen.

Hinweis für die Praxis

Der BGH hat die seit langem umstrittene Frage der Geltung des Fernabsatzrechts auf Anwaltsverträge bejaht. Anwälte sollten daher bei der Beratung von Verbrauchern darauf gefasst sein, dass umfassende Informations- und Belehrungspflichten gelten können.

Aber nicht jeder Anwaltsvertrag, bei dem ausschließlich per Telefon oder E-Mail kommuniziert wird, ist ein Fernabsatzvertrag. Voraussetzung für die Geltung des Fernabsatzrechts ist gemäß § 312c Abs. 1 BGB dreierlei:

  • Der Mandant muss Verbraucher im Sinne von § 13 BGB sein – für Unternehmer gelten die Regelungen des Fernabsatzrechts nicht.
  • Der Vertrag muss ohne persönlichen Kontakt unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden sein.
  • Die Kanzlei muss ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystems unterhalten. Das Vorhandensein eines solchen Systems wird widerleglich vermutet.

Findet Fernabsatzrecht Anwendung, kann der Mandant den Vertrag grundsätzlich innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsschluss widerrufen. Die Widerrufsfrist beginnt jedoch erst zu laufen, wenn der Anwalt den Mandanten ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt hat. Dabei sollte auf das Musterformular zur Widerrufsbelehrung zurückgegriffen werden. Bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung erlischt das Widerrufsrecht erst 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss.

Wenn der Anwalt vor Ablauf der Widerrufsfrist tätig wird, kann er im Falle des Widerrufs seinen Vergütungsanspruch verlieren. Gerade in dringenden Fällen kann die Widerrufsfrist oft nicht abgewartet werden. Wird der Anwalt sofort tätig, kann er für die bis zum Widerruf erbrachte Tätigkeit nur Wertersatz verlangen, wenn der Mandant ausdrücklich verlangt hat, dass der Anwalt vor Ablauf der Widerrufsfrist tätig wird und der Mandant zuvor ordnungsgemäß über den Wertersatz informiert wurde. Der Wertersatz für die geleistete Tätigkeit berechnet sich anteilig im Verhältnis zum vereinbarten Gesamtpreis. Dieser ergibt sich entweder aus der Vergütungsvereinbarung oder – falls keine Vergütungsvereinbarung abgeschlossen wurde – aus den gesetzlichen Gebühren.

Kontakt > mehr