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Der Wegfall von Verlustvorträgen bei sog. schädlichem Beteiligungserwerb ist verfassungswidrig

Es verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und ist daher verfassungswidrig, dass bei Übertragung von mehr als 25% der Anteile an einer Kapitalgesellschaft (sog. schädlicher Beteiligungserwerb) die Anrechnung eines Verlustvortrags anteilig oder ganz versagt wird.

Hintergrund

Die körperschaftssteuerpflichtige Klägerin hatte Verluste erwirtschaftet und als solche vorgetragen, um diese in den Folgejahren mit angefallenen Gewinnen zu verrechnen. Die Finanzverwaltung beschränkte die Verlustanerkennung und -nutzung jedoch, weil zwischenzeitlich ein Gesellschafter der Klägerin mehr als 25% der Anteile an der Klägerin an einen Dritten übertragen hatte. Sie berief sich dabei auf § 8c Satz 1 KStG, nach dem Verluste anteilig nicht mehr genutzt werden können, soweit zwischen 25% und 50% der Anteile, Beteiligungs- oder Stimmrechte innerhalb von 5 Jahren auf einen Dritten übertragen werden ( „schädlicher Beteiligungserwerb“). Bei einer Übertragung von über 50% binnen 5 Jahren versagt das Gesetz die Nutzung des Verlustvortrags komplett.

Die gesetzliche Regelung soll nach Auffassung des Gesetzgebers verhindern, dass Gesellschaften mit erheblichen Verlustvorträgen als „Mantel“ an Dritte verkauft und damit Verlustvorträge gehandelt werden. Mit anderen Worten: die Körperschaft soll nur von Verlustvorträgen profitieren, wenn die kontrollierenden Gesellschafter im Wesentlichen gleich bleiben; bei einem Kontrollwechsel soll ihr bzw. den neuen Gesellschaftern dieses Privileg nicht zugutekommen.

Das Finanzgericht Hamburg, das den Fall zunächst zu entscheiden hatte, hegte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 8c Satz 1 KStG und legte den Fall dem BVerfG zur Entscheidung vor.

Der Beschluss des BVerfG vom 29.03.2017 – 2 BvL 6/11

Das BVerfG bestätigte die Zweifel des Finanzgerichts und entschied, dass § 8c Satz 1 KStG gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt. Es gebe keinen sachlichen Grund, einen schädlichen Beteiligungserwerb anders (und nachteiliger) zu besteuern als einen unschädlichen Beteiligungserwerb Denn bei einer Übertragung von 25% bis 50% (einer Minderheitsbeteiligung) komme es weder zu einem Kontrollwechsel, noch bestehe ein konkretes Missbrauchspotential, da der Minderheitsgesellschafter die Verlustnutzung nicht aktiv steuern könne. Der Gesetzgeber muss wegen der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift daher bis zum 31.12.2018 eine rückwirkende Neuregelung für die Jahre 2008 bis 2015 treffen.

Anmerkung

Die Entscheidung des BVerfG trägt nicht nur den seit langem vorgetragenen rechtlichen Bedenken gegen § 8c Satz 1 KStG Rechnung, sie ist auch in wirtschaftlicher Hinsicht begrüßenswert. Denn die Beschränkung durch § 8c Satz 1 KStG ging vor allem zu Lasten von sanierungsbedürftigen Unternehmen oder Start-Up-Unternehmen, die zur Sicherung ihrer Finanzierung besonders auf die Aufnahme neuer Gesellschafter angewiesen waren und deren angespannte Lage durch den teilweisen Wegfall ihrer Verlustvorträge weiter verschlechtert wurde.

Was die zukünftige Behandlung von Verlustvorträgen angeht, bleibt es spannend. Bedeutung wird voraussichtlich der neu eingeführte § 8d KStG (fortführungsgebundener Verlustvortrag) erlangen, nach dem Verlustvorträge trotz eines schädlichen Beteiligungserwerbs erhalten bleiben, wenn der Geschäftsbetrieb des Unternehmens nach dem Gesellschafterwechsel erhalten bleibt und eine anderweitige Verlustnutzung ausgeschlossen ist. Zu begrüßen ist auch eine geplante gesetzliche Neuregelung, nach der Sanierungsgewinne, die dadurch entstehen, dass Gläubiger eines Unternehmens zur bilanziellen Sanierung des Unternehmens auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten, begünstigt besteuert werden sollen. Der BFH hatte die entsprechende Praxis der Steuerbehörden wegen des Verstoßes gegen das europäische Beihilfenrecht in seinem Beschluss vom 28.11.2016 (Az. GrS 1/15) verworfen.

Der Gesetzgeber ist vor diesem Hintergrund in mehrfacher Weise gehalten, europarechtskonforme Neuregelungen zu schaffen. Dies betrifft die Behandlung von Verlustvorträgen und die Besteuerung von Sanierungsgewinnen ebenso wie die zwischen ihnen bestehende Wechselwirkung.

Daneben ist abzuwarten, welches Schicksal § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG, nach welchem sämtliche Verlustvorträge wegfallen, wenn über 50% der Anteile übertragen werden, erfahren wird. Ob zumindest diese Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wird zunächst der BFH entscheiden müssen – ein diesbezügliches Verfahren wurde bis zur Entscheidung des BVerfG ausgesetzt (Az. I R 31/11) und kann nun wieder aufgenommen werden.

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