Frankreich: Grundlegende Reform des Arbeitsrechts
Am 2. August 2017 wurde die französische Regierung ermächtigt, den „Code du travail“ (französisches Arbeitsgesetzbuch) durch „ordonnances“ (Rechtsverordnungen) zu reformieren.
Am 23. September 2017 wurden fünf Rechtsverordnungen veröffentlicht, die das französische Arbeitsgesetzbuch erheblich verändern. Ihr Inkrafttreten ist je nach Inhalt unterschiedlich geregelt (siehe unten).
Ziel ist insbesondere Kollektivverhandlungen auf Betriebsebene zu fördern, Organe der Arbeitnehmervertretung zusammenzufassen, Kündigungsverfahren einfacher und rechtssicherer zu gestalten, die Gründe für betriebsbedingte Kündigungen auf Frankreich zu beschränken und ggfs. zu zahlende Entschädigungen im Vorfeld zu pauschalisieren.
I. Förderung der Kollektivverhandlungen auf Betriebsebene
Grundsätzlich können kleine Unternehmen mit 11 bis 50 Arbeitnehmern mit dem neuen „Comité Social et économique“ (neue Form der Arbeitnehmervertretung) und direkt mit den Arbeitnehmern in Unternehmen mit weniger als 11 Arbeitnehmern, Betriebsordnungen abschließen, was bislang nur unter Einbeziehung eines Gewerkschaftsvertreters möglich war.
Ausgeschlossen von dieser Möglichkeit sind Bereiche, die in einer Liste präzisiert sind und die ausschließlich auf Branchenebene geregelt werden dürfen (wie z.B. Höhe des Mindestlohns, maximale Arbeitsdauer, usw.).
II. Zusammenlegung und Vereinfachung der Arbeitnehmervertretungen
In allen Unternehmen mit mindestens 11 Arbeitnehmern muss ein sozialer und wirtschaftlicher Betriebsrat („Comité social et économique“) geschaffen werden. Dieser fasst die früheren Instanzen des Personalvertreters („délégué du personnel“), Betriebsrat („Comité d’entreprise“, früher erst ab 50 Mitarbeitern einzuführen) und des Hygiene- und Sicherheitsrats („Comité d’hygiène et de sécurité“) in einem Organ zusammen.
Dieser neue „Betriebsrat“ wird je nach Mitarbeiterzahl die gleichen Rechte und Befugnisse haben, wie die früheren Instanzen.
In Unternehmern mit entsprechenden Vertretungsinstanzen ist die Verordnung bei Neuwahlen und bis spätestens 31.12.2019 umzusetzen. Wenn die Neuwahlen bei den verschiedenen Instanzen nicht gleichzeitig stattfinden, kann der Arbeitgeber die Mandate verlängern bzw. verkürzen.
III. Vereinfachung von Kündigungen / Pauschalisierung / Anhebung der gesetzlichen Kündigungsentschädigung
In der Vergangenheit konnten Formfehler in einem Kündigungsverfahren die Kündigung unwirksam machen und dem Arbeitnehmer konnten hohe Schadensersatzzahlungen zugesprochen werden. Zukünftig kann ein Formfehler nicht mehr zur Unwirksamkeit einer Kündigung führen, sondern zu einem maximalen Schadensersatzanspruch von einem Monatsgehalt.
Außerdem wurden die Formvorschriften bezüglich des Kündigungsschreibens gelockert, der angegebene Kündigungsgrund kann in Zukunft noch korrigiert und ergänzt werden.
Um Kündigungsverfahren zu vereinfachen, sollen offizielle Formulare („CERFA“) für Kündigungsschreiben im Internet zugänglich gemacht werden, die insbesondere kleineren Unternehmen helfen sollen, rechtswirksame Kündigungen einfacher auszusprechen.
Französische Arbeitnehmer müssen sich in Zukunft auch mehr beeilen, Kündigungsschutzklage zu erheben; die neue Frist beträgt 12 Monate ab Zugang des Kündigungsschreibens (vorher 24 Monate und vor 2013 sogar 5 Jahre!).
Ein weiterer Kernpunkt der Reform ist die Einführung einer Tabelle mit zwingendem Charakter zur Berechnung von Abfindungen, im Falle ungerechtfertigter Kündigungen („sans cause réelle et sérieuse“), sei es im Rahmen einer betriebs- oder personenbedingten Kündigung. Damit kann das finanzielle Risiko von Kündigungen im Vorfeld besser eingeschätzt werden.
Zu beachten ist auch, dass französischen Arbeitnehmern, auch wenn eine Kündigung gerechtfertigt ist, eine gesetzliche bzw. tarifvertragliche Kündigungsentschädigung zusteht („indemnité légale/conventionelle de licenciement“). Die gesetzliche Kündigungsentschädigung soll durch eine spätere Rechtsverordnung von 1/5 eines Bruttomonatsgehalts pro Jahr der Betriebszugehörigkeit auf 1/4 bzw. 25% eines Bruttomonatsgehalts pro Jahr der Betriebszugehörigkeit angehoben werden.
IV. Wesentliche Einschränkung des Betrachtungsraums bei betriebsbedingten Kündigungen
Da, wo Kündigungen in französischen Tochtergesellschaften von internationalen Konzernen mit positivem Gesamtergebnis quasi unmöglich waren, soll in Zukunft nur noch die wirtschaftliche Situation der Konzernunternehmen in Frankreich betrachtet werden. Ist die finanzielle Situation in dem oder den französischen Unternehmen schlecht (z.B. anhaltende Verluste), können zukünftig betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden.
Die gleiche Beschränkung gilt ab jetzt auch für die Weiterbeschäftigungsverpflichtung („obligation de reclassement“) für Mitarbeiter, deren Kündigung ansteht. Diese Maßnahmen sind auch nur noch in Bezug auf Konzernunternehmen in Frankreich, und nicht mehr weltweit, zu treffen.
V. Förderung der Telearbeit
Die Regeln der Telearbeit werden im Arbeitsgesetzbuch kodifiziert und müssen im Tarifvertrag oder einer Betriebsordnung geregelt werden. Die Arbeit vom Home Office und flexible Arbeitszeiten für alle sollen in den nächsten Jahren als Alternativmodell zur Büroarbeit durchgesetzt werden. Arbeitnehmer haben das Recht, Telearbeit zu beantragen und der Arbeitgeber muss rechtfertigen, warum er dem nicht zustimmt.
VI. Inkrafttreten der Verordnungen
Die Vorschriften über die Klagefrist, die Entschädigungen und den Betrachtungsraum bei betriebsbedingten Kündigungen gelten grundsätzlich für jede Kündigung, die nach Veröffentlichung der Rechtsverordnungen, d.h. nach dem 23. September 2017, ausgesprochen wird.
Die anderen Vorschriften treten ab Veröffentlichung der entsprechenden Ausführungsverordnungen (insofern solche in den Rechtsverordnungen vorgesehen sind) in Kraft, spätestens jedoch am 1. Januar 2018.
VI. Bedeutung und Ausblick
Die von Präsident Macron nun durchgeführte Reform hat wesentliche Schwierigkeiten des französischen Arbeitsrechts entschärft und die Risiken der Unternehmen eingegrenzt. Wenn es nun noch gelingt, den Widerstand der Gewerkschaften zu überwinden und den Dialog zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Unternehmen konstruktiver zu führen, hat Frankreich einen großen Schritt in die richtige Richtung getan.
Nicola Kömpf
Alerion Avocats, Paris
27. September 2017