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Durchgriffshaftung im Konzern (Frankreich)

Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich haftet eine Muttergesellschaft grundsätzlich nicht für eine Kapitalunterdeckung ihrer Tochter- bzw. Enkelgesellschaften, da das Vermögen der Muttergesellschaft von dem Vermögen der Tochter- und Enkelgesellschaften zu trennen ist (sog. Trennungsprinzip). Dieses Prinzip – von dem nur in Missbrauchsfällen abgewichen wird – stärkte nun das oberste Gericht in Frankreich (Cour de Cassation) mit einer am 11.10.2016 getroffenen Entscheidung.

Eine Haftung der Muttergesellschaft für eine Kapitalunterdeckung einer Tochter- bzw. Enkelgesellschaft wird in Frankreich dann angenommen, wenn die Muttergesellschaft außerordentlich in deren Geschäftsführung eingreift (sog. de facto Geschäftsführung). Die Cour de Cassation hat nun die Fallgruppe „de facto Geschäftsführung“ eingeschränkt. Solange eine Tochter- bzw. Enkelgesellschaft ein letztes Maß an Selbstständigkeit hat und sie von ihrem statutarischen Geschäftsführer (zumindest offiziell) geleitet wird, haftet die Muttergesellschaft nicht für eine etwaige Kapitalunterdeckung ihrer Tochter- bzw. Enkelgesellschaft. Die Cour de Cassation führte u.a. aus: Der Umstand, dass die Muttergesellschaft über eine 100%ige-Tochtergesellschaft mittelbare Gesellschafterin ihrer Enkelgesellschaft ist, reicht nicht für die Annahme einer de facto Geschäftsführung. Ebenso wenig führt eine einheitliche Konzernpolitik, innerhalb derer sich die Geschäftsführer der Enkelgesellschaft bewegen müssen, zu einer de facto Geschäftsführung. Nicht einmal die Entscheidung der Muttergesellschaft, die Fabrik der Enkelgesellschaft zu schließen und deren Produktion auf die Muttergesellschaft zu übertragen mit der Folge der Liquidation der Enkelgesellschaft, reicht der Cour de Cassation für eine solche Annahme. Ausschlaggebend ist hierbei, dass die statutarische Geschäftsführung der Enkelgesellschaft jeweils eigenständige Entscheidungen innerhalb der von der Muttergesellschaft gesteckten Rahmenbedingungen treffen konnte.

Vergleich mit Deutschland

Eine Haftung wegen einer de facto Geschäftsführung gibt es in Deutschland nicht. Der BGH bejaht eine Durchgriffshaftung nur im Falle einer Vermögensvermischung oder eines existenzvernichtenden Eingriffs seitens der Muttergesellschaft. Ein existenzvernichtender Eingriff liegt nach dem BGH dann vor, wenn die Muttergesellschaft „missbräuchliche, zur Insolvenz führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen“ der Tochtergesellschaft vorgenommen hat.

Anmerkung

Die Entscheidung der Cour de Cassation ist zu begrüßen, da eine Durchbrechung des Trennungsprinzips nur in Missbrauchsfällen in Frage kommt. Die Vorgabe von Rahmenbedingungen und einer einheitlichen Konzernpolitik, die sich mitunter auch zu Lasten einer Enkelgesellschaft auswirken können, dürfen nicht zu einer Haftung der Muttergesellschaft für eine etwaige Kapitalunterdeckung der Enkelgesellschaft führen.

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