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Vorlage an den EuGH: Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Massenentlassungsanzeige

Das Bundesarbeitsgericht hat den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung betreffend die Auslegung der Richtlinie 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ersucht. Dies ergibt sich aus einer Pressemitteilung des BAG vom 16. November 2017 (Az. 2 AZR 90/17 (A)).

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt mehrere Bildungseinrichtungen in Essen. Anfang November 2014 schloss sie mit ihrem Betriebsrat einen Interessenausgleich über die Schließung von vier der Einrichtungen und den hierdurch bedingten Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen ab. Aus dem Interessenausgleich folgte, dass auch die Klägerin vom Personalabbau betroffen war. Am 24. November 2014 kündigte die Beklagte das mit ihr bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2015. In der Zeit bis zum 24. Dezember 2014 sprach die Beklagte mindestens elf weitere Kündigungen gegenüber ebenfalls bei ihr beschäftigten Mitarbeitern aus. Eine Massenentlassungsanzeige erstattete sie nicht. Die Klägerin nahm arbeitsgerichtliche Hilfe in Anspruch und machte zur Begründung ihrer Kündigungsschutzklage geltend, die Entlassung sei gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG anzeigepflichtig gewesen. Die Beklagte habe nicht mehr als 120 Arbeitnehmer beschäftigt, weshalb der Ausspruch der 12 Kündigungen zur Anzeigepflicht geführt habe. Die Beklagte hingegen führte ins Feld, dass vier bei ihr eingesetzte Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl mitgezählt werden müssten. Hieraus folge, dass die Schwellenwerte des § 17 KSchG nicht erfüllt seien.

Entscheidungsgründe

Nachdem die Klage in erster Instanz abgewiesen wurde, schloss sich das LAG Düsseldorf der Auffassung der Klägerin an (Urteil vom 8. September 2016 – Az. 11 Sa 705/15). Auf die Revision der Beklagten setzte das BAG das Verfahren zunächst aus. Nach Ansicht der Erfurter Richter ist es für die Entscheidung des Streitfalls erheblich, ob Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Zahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind. Weitere Hintergründe des Beschlusses, über den bislang nur in Form einer Pressemitteilung berichtet wurde, sind nicht bekannt.

Für die Beantwortung der vom BAG formulierten Fragen ist der EuGH zuständig, da die innerstaatliche Vorschrift des § 17 KSchG in Umsetzung der Richtlinie 98/59/EG erlassen wurde. Die Parteien des Verfahrens müssen nun so lange warten, bis sich der EuGH zu den vom 2. Senat formulierten Fragen positioniert hat und das Verfahren unter Berücksichtigung des Ergebnisses aus dem Vorabentscheidungsverfahren weitergeführt werden kann.

Hinweise für die Praxis

Das BAG hat sich in zurückliegenden Entscheidungen mehrfach auf den Standpunkt gestellt, dass Leiharbeitnehmer unter gewissen Bedingungen zur Belegschaft des Entleihers gehören. Auf den ersten Blick wirkt eine Fortsetzung dieser Bewertung auch für den vorliegenden Fall schlüssig. Es gibt jedoch auch Gründe, die gegen eine solche Annahme sprechen könnten. Die Anzeige einer Massenentlassung dient dazu, die örtlich zuständigen Agenturen für Arbeit frühzeitig über einen bevorstehenden „Ansturm“ von Arbeitslosen zu informieren. Kommt es im Entleiherbetrieb zu Kündigungen, ist das mit dem Verleiher bestehende Arbeitsverhältnis hiervon nicht unmittelbar betroffen. Der Verleiher wird dieses vielmehr zunächst fortsetzen und für einen Einsatz des Leiharbeitnehmers in einem anderen Entleiherbetrieb sorgen müssen. Ob diese Argumentation nach Sinn und Zweck von § 17 KSchG in der durch den EuGH vorzunehmenden Interpretation des Begriffs der Massenentlassung aus der Richtlinie 98/59/EG eine Rolle spielt, bleibt abzuwarten.

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