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Eigeninsolvenzantrag des Bauunternehmers als Kündigungsgrund für den VOB/B Auftraggeber vom Bundesgerichtshof bestätigt

Der Bauvertrag ist ein auf Kooperation angelegter Langzeitvertrag, den der Auftraggeber zumeist in besonderem Vertrauen auf die persönlichen Eigenschaften des Auftragnehmers, insbesondere dessen Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, abschließt. Stellt der Auftragnehmer während der Bauausführung einen Insolvenzantrag, kann dieses Vertrauensverhältnis erheblich erschüttert werden. Überdies sieht sich der Auftraggeber mitunter einem „neuen“ Vertragspartner gegenüber. Denn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht dem Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO das Recht zu, die Erfüllung des noch nicht abgeschlossenen Bauvertrages zu wählen, um den Anspruch auf die Gegenleistung für die Insolvenzmasse zu erlangen. Dieses Wahlrecht des Verwalters dient der Mehrung der zu verteilenden Vermögensmasse und damit dem Schutz aller anderen Gläubiger des insolventen Unternehmers. Es ist deswegen von besonderer Relevanz im Insolvenzverfahren; vertragliche Vereinbarungen die das Wahlrecht ausschließen oder beschränken sind gemäß § 119 InsO unwirksam.

Gleichwohl sieht § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B ein an die Insolvenzantragstellung anknüpfendes Lösungsrecht zugunsten des Bauauftraggebers vor. Da der BGH unter Anwendung von § 119 InsO im Jahr 2012 für Energielieferverträge eine insolvenzbedingte Lösungsklausel für unwirksam erklärt hat, entstand in der Folge erhebliche Unsicherheit bei der Frage nach der Wirksamkeit dieser für die Praxis nicht unbedeutenden VOB/B-Klausel.

Nunmehr hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 07.04.2016 (VII ZR 56/15) – anders als noch die Vorinstanz – die Wirksamkeit dieses Lösungsrechts jedenfalls für den Eigeninsolvenzantrag des Auftragnehmers beim VOB/B-Vertrag bestätigt. Er stellt dabei auf die eingangs genannten Besonderheiten des Werkvertragsrechts ab, das mit § 649 BGB ohnehin ein jederzeitiges Kündigungsrecht des Auftraggebers kenne. Da bis zur Entscheidung des Insolvenzverwalters über die Fortführung des komplexen Bauvertrages unter Bedacht aller Rechtsfolgen (Mängelrechte, Vertragsstrafen, Verzugshaftung, Mangelfolgeschäden u.a.) erhebliche Zeit ins Land gehe und währenddessen die Baustelle zumeist still stehe, überwiege beim Bauvertrag das Interesse des Auftraggebers an einer frühzeitigen Vertragsbeendigung das insolvenzrechtliche Fortführungsinteresse. Zudem könnten durch frühzeitige Rechtsklarheit Schäden im Ergebnis sogar geringer gehalten werden.

Die lang erwartete Klarstellung des BGH ist zu begrüßen, da gerade die Abgrenzung zwischen einer unberechtigten und einer berechtigten außerordentlichen Kündigung erhebliche Risiken birgt. Zwar mag man die Entscheidung unter rein insolvenzrechtlicher Betrachtung kritisieren können, für die Bauvertragsparteien bringt sie indes erhebliche Rechtssicherheit und im Ergebnis einen interessengerechten Ausgleich. Ausdrücklich entschieden hat dies der BGH allerdings nur für eine Kündigung zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung. Ein Zuwarten mit der Kündigung bis zur tatsächlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist Bauauftraggebern deshalb nicht anzuraten, da nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsprechung ab diesem Zeitpunkt die über § 119 InsO geschützten Interessen der Insolvenzgläubiger höher einstuft.

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