Dr. Barbara Mayer, Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrechtjan barth gesellschaftsrecht a.jpg

Falsch ist nicht gleich treuwidrig: Der BGH zum Stimmverhalten in der GmbH

Solange der Gesellschaftsvertrag einer GmbH keine Einstimmigkeit erfordert, werden Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung einer GmbH nach dem Mehrheitsprinzip gefasst. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Mehrheit die Minderheit nach Belieben überstimmen kann. Denn auch der Mehrheitsgesellschafter unterliegt der sog. Treuepflicht. Sie verlangt von ihm, die Zwecke der GmbH zu fördern und Schaden von ihr abzuwenden. Diese Pflicht gilt grundsätzlich auch bei der Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung; auch Mehrheitsgesellschafter müssen sich also bei der Beschlussfassung über Geschäftsführungsmaßnahmen von den Interessen der GmbH leiten lassen – und nicht (nur) von ihren eigenen Interessen.

Wenn die Stimmabgabe bei einer Beschlussfassung treuwidrig ist, darf die Stimme bei der Beschlussfassung nicht mitgezählt werden. Wird sie trotzdem berücksichtigt und kommt daher ein Beschluss zustande, der auch noch förmlich festgestellt wird, kann der überstimmte Minderheitsgesellschafter diesen Beschluss anfechten und damit beseitigen. Die Beschlussanfechtung kann bei ablehnenden Beschlüssen zudem mit einer Feststellungsklage zu einer sog. positiven Beschlussfeststellungsklage kombiniert werden. Diese beseitigt dann zunächst den treuwidrig mit der Mehrheit der Stimmen gefassten Beschluss und ersetzt ihn durch einen Beschluss, wie er ohne die treuwidrig abgegebenen Nein-Stimmen (positiv) gefasst worden wäre.

Das Urteil des BGH vom 12.04.2016 – II ZR 275/14

Mit einer solchen positiven Beschlussfeststellungsklage hatte sich der BGH jüngst zu befassen. In dem zugrunde liegenden Fall waren sich die Gesellschafter zwar über die objektive Richtigkeit einer Geschäftsführungsmaßnahme einig. Die Mehrheitsgesellschafterin hatte dennoch gegen die Geschäftsführungsmaßnahmen gestimmt, wohl um die Rechte der Minderheitsgesellschafterin auszuloten, mit der sie seit Jahren im Streit liegt. Die Minderheitsgesellschafterin wollte mit der Klage die Nichtigkeit der ablehnenden Stimmen der Mehrheitsgesellschafterin erreichen und festgestellt wissen, dass die Umsetzung der Geschäftsführungsmaßnahmen beschlossen worden sei.

Die Geschäftsführung der Holdinggesellschaft hatte Vorschläge für neue Vertriebsstandorte erarbeitet und diese beiden Gesellschaftern im Umlaufverfahren vorgelegt. Die Mehrheitsgesellschafterin hatte mitgeteilt, dass ihrerseits keine Einwände bestünden, eine Vorlage an die Gremien der Gesellschaft (Gesellschafterversammlung und Beirat) jedoch unterbleiben könne. Die Klägerin verlangte dennoch eine Abstimmung im Gesellschafterkreis. Während sie für sämtliche Standortmaßnahmen stimmte, stimmte die Mehrheitsgesellschafterin in neun Fällen dagegen. Daraufhin focht die Minderheitsgesellschafterin die neun ablehnenden Beschlüsse wegen Treuwidrigkeit des Abstimmungsverhaltens der Mehrheitsgesellschafterin im Wege der Anfechtungsklage an und begehrte die Feststellung, dass die Gesellschafterversammlung den gegenständlichen Maßnahmen zugestimmt habe.

Das Berufungsgericht hatte sich der Argumentation der Klägerin angeschlossen und befunden, bei Gesellschafterbeschlüssen über Geschäftsführungsmaßnahmen habe grundsätzlich das Gesellschaftsinteresse im Vordergrund zu stehen. Da im vorliegenden Fall unter den Gesellschaftern Einigkeit darüber herrschte, dass auch die Eröffnung der neun streitgegenständlichen Standorte im Interesse der Gesellschaft lag, sei das Abstimmungsverhalten der Mehrheitsgesellschafterin treuwidrig gewesen.

Dem ist der BGH entgegengetreten. Der Gesellschafter sei in der Ausübung seines Stimmrechts frei. Er müsse seine Stimmabgabe nicht rechtfertigen, auch wenn seine Beweggründe sachwidrig und unverständlich schienen. Die Treupflicht gebiete nur dann ein bestimmtes Abstimmungsverhalten, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist. Allein dass die streitgegenständlichen Standorte für die Beklagte von nicht unerheblicher wirtschaftlicher Bedeutung waren, besage nicht, dass diese hohen Anforderungen erfüllt seien.

Anmerkung

Mit der Entscheidung hat der BGH die hohen Anforderungen, die für die Korrektur von Gesellschafterbeschlüssen in Personengesellschaften auf Grundlage der gesellschafterlichen Treuepflicht entwickelt wurden, auf die GmbH übertragen. Anerkannt war das bisher nur für solche Beschlüsse, mit denen eine Änderung der Satzung vorgenommen werden sollte. Bei diesen Grundlagengeschäften hatte die Rechtsprechung dem Gesellschafter einen größeren Entscheidungsspielraum eingeräumt und ihm so eine Orientierung an den eigenen Interessen ermöglicht. Bei einfachen Geschäftsführungsmaßnahmen nahm die Rechtsprechung hingegen an, dass sich der Gesellschafter sein Abstimmungsverhalten an der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns und damit am Wohlergehen der Gesellschaft zu orientieren habe.

Nun hat der BGH klargestellt: Auch bei der Zustimmung zu einfachen Geschäftsführungsmaßnahmen gilt dasselbe wie bei den Grundlagengeschäften. Zwar muss sich der Gesellschafter bei der Stimmabgabe grundsätzlich von den Interessen der Gesellschaft leiten lassen. Was allerdings im Interesse der Gesellschaft liegt, entscheiden die Gesellschafter – nicht das Gericht. Die Gesellschafter wissen selbst am besten, wie die Interessen ihrer Gesellschaft am besten gewahrt und gefördert werden können. Auch bei der Abstimmung über Geschäftsführungsmaßnahmen kann der Gesellschafter also grundsätzlich frei entscheiden und muss sich nicht an einem objektivierten Gesellschaftsinteresse orientieren.

Das überzeugt. Die Gerichte sollen nicht in die Gesellschaften hineinregieren; sonst könnte und müsste am Ende jeder Beschluss anhand eines Sachverständigengutachtens gerichtlich bewertet werden. Eine gerichtliche Korrektur des Stimmverhaltens eines GmbH-Gesellschafters kommt richtigerweise nur in Betracht, wenn dies zum Wohle der Gesellschaft objektiv unabweisbar erforderlich ist und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert. Praktische Bedeutung hat das vor allem in den Fällen, in denen ein Minderheitsgesellschafter von seiner Sperrminorität Gebrauch macht und so die Entwicklung der Gesellschaft blockiert. Im Grundsatz wird der Minderheitsgesellschafter einer GmbH auch weiterhin damit leben müssen, dass er in der Gesellschafterversammlung von der Mehrheit überstimmt wird, auch wenn er deren Position für falsch oder töricht hält.

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