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Eine Standzeit von über 12 Monaten ist bei Gebrauchtwagen nicht grundsätzlich als Sachmangel zu bewerten

Ist das Alter eines Gebrauchtwagens (inkl. Standzeit) für die Kaufentscheidung ausschlaggebend, sollte sich der Käufer eine entsprechende Beschaffenheit des Fahrzeuges vom Verkäufer vertraglich zusichern lassen.

Hintergrund

Dass das Überschreiten der Standzeit von 12 Monaten grundsätzlich einen Sachmangel darstellt, hatte der BGH bisher nur in Bezug auf Neuwagen und „Jahreswagen“ festgestellt. Ohne weitere Vereinbarung ist die Standzeit in diesen Konstellationen Teil einer konkludenten oder ausdrücklichen Beschaffenheitsvereinbarung (BGH, Urteil v. 15.10.2003 - VIII ZR 227/02, BB 2004, 128; BGH, Urteil v. 7.6.2006 - VIII ZR 180/05, NJW 2006, 2694). Für den Gebrauchtwagenkauf war dies bisher streitig (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Urteil v. 16.6.2008 - I-1 U 231/07, 1 U 231/07, NJW-RR 2009, 398; Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil v. 25.11.2008 - 3 U 39/07, NJW-RR 2009, 712; KG Berlin, Beschluss v. 13.1.2011 - 8 U 97/10, NJOZ 2011, 1687). Nunmehr hat sich der BGH mit der Möglichkeit der Übertragung seiner Rechtsprechung zu Neuwagen und „Jahreswagen“ auf den Gebrauchtwagenkauf auseinandergesetzt.

Entscheidung des BGH vom 29. Juni 2016 (VIII ZR 191/15)

Der Kläger kaufte einen Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 38.616 km von einer KFZ-Händlerin zu einem Kaufpreis von 33.430 €. In dem verbindlichen Bestellformular hatte die Händlerin in das vorgedruckte Feld „Datum der Erstzulassung lt. Fzg.-Brief“ den 18.2.2010 eingetragen, ohne eine Angabe zu dem konkreten Baujahr zu machen. Nach Übergabe stellte der Käufer fest, dass das Fahrzeug bereits am 1.7.2008 hergestellt worden war und zu der Modellreihe 2009 gehörte. Der Kläger war der Ansicht, dass die Standzeit von 19,5 Monaten zwischen Herstellung und Erstzulassung einen Sachmangel darstellt. Der BGH stellte hierzu fest, dass bei einem Gebrauchtwagen – anders als bei einem Neuwagen und „Jahreswagen“ – das Überschreiten der Standzeit von 12 Monaten nicht grundsätzlich als Sachmangel zu bewerten ist. Nur wenn die Standzeit von mehr als 12 Monaten bei dem Fahrzeug zu einem konkreten Mangel führt oder weitere besondere Umstände hinzutreten, die auf eine entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung schließen lassen, ist von einem Sachmangel auszugehen. Diese Voraussetzungen lagen jedoch in dem vorliegenden Fall nach Auffassung des BGH nicht vor.

Insbesondere wertete der BGH die Angabe „Datum der Erstzulassung lt. Fzg.-Brief: 18.2.2010“ nicht als (rechtsverbindliche) Willenserklärung, sondern als bloße (nicht rechtsverbindliche) Wissenserklärung der Händlerin. Formulierungen wie „laut Fzg.-Brief“ oder „laut Vorbesitzer“ stellen nach ständiger Rechtsprechung des BGH einschränkende Zusätze dar. Hiermit mache der Verkäufer deutlich, dass er für das Vorhandensein des in diesem Zusammenhang genannten Merkmals keine Gewähr übernehme. Der Verkäufer berufe sich hierbei eben nicht auf sein eigenes Wissen, was er durch eine eigens durchgeführte Überprüfung erlangt habe. Es handele sich lediglich um die Mitteilung der Quelle seiner Angaben. Ferner müssten Händler im Gebrauchtwagenhandel ausschließlich für das Vorliegen nachprüfbarer technischer Daten haften. Das Datum der Erstzulassung könne jedoch nur dem Fahrzeugbrief entnommen oder durch Nachfrage beim Vorbesitzer eingeholt werden. Demnach konnte der Kläger nach Ansicht des BGH aus der Formulierung „Datum der Erstzulassung lt. Fzg.-Brief: 18.2.2010“ keine Rückschlüsse auf eine bestimmte Standzeithöhe schließen.

Ebenso sah der BGH das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Sachmangel gestützt auf die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB) als nicht gegeben an. Ein Sachmangel liege nur dann vor, wenn der gekaufte Gebrauchtwagen technische Mängel aufweise, die die Zulassung zum Straßenverkehr hindere oder die Gebrauchsfähigkeit aufhebe bzw. beeinträchtige. Die Beurteilung der üblichen Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens hinge zwar vom konkreten Einzelfall ab, dabei komme es aber in der Regel auf Alter, Laufleistung, Anzahl der Vorbesitzer und Art der Vorbenutzung und damit auf eine objektive Käufererwartung an.

Der Kläger habe einen Gebrauchtwagen erhalten, der trotz seiner Standzeit von 19,5 Monaten eine Beschaffenheit aufweise, die im Vergleich zu anderen Gebrauchtwagen üblich sei und in der Form vom Kläger erwartet werden konnte. Eine Übertragung der bisherigen Rechtsprechung in Bezug auf Neuwagen und „Jahreswagen“ lehnte der BGH ab. Dies begründete er mit der Folge, die eine Standzeit von über 12 Monaten (Wertminderung) bei diesen Fahrzeugen mit sich bringe. Hinzu kommt, dass der BGH in der Bezeichnung „Neuwagen“ eine Zusicherung der Eigenschaft „fabrikneu“ sieht. Diese sei jedoch nur gegeben, wenn das Fahrzeug keine längere Standzeit als 12 Monate aufweise. Im Übrigen hinge die Einordnung von Fahrzeugen als Neuwagen, Jahreswagen oder Gebrauchtwagen von deren Alter ab. Entsprechend nehme das Alter bei der Kaufentscheidung für einen Neuwagen auch einen erheblichen Stellenwert ein. Dies sei bei einem Gebrauchtwagenkauf grundsätzlich nicht der Fall.

Anmerkung

Der BGH grenzt mit diesem Urteil die Erwartungen, die ein Käufer an einen Gebrauchtwagen in Bezug auf dessen Standzeit stellen darf, deutlich ein. Zugleich wird die Position der Verkäufer gestärkt. Die Käufer sind nunmehr angehalten, sich ihre subjektiven Erwartungen durch eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung im Kaufvertrag absichern zu lassen. Daneben hat der BGH erneut festgestellt, dass Verkäufer eine spätere Haftung in Bezug auf das Nichtvorliegen nichttechnischer Kriterien durch einen schlichten Verweis auf eine bestimmte Quelle, wie es der BGH formuliert, gegenüber dem Käufer verhindern können. Solche Verweise stellen bloße nichtrechtsverbindliche Wissenserklärungen dar. Mit diesen Erklärungen bringt der Verkäufer nur zum Ausdruck aus welcher Quelle sein Wissen stammt.

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