Brexit und Vertragsrecht: Auslegung, Anpassung und Gestaltung von Verträgen
Wenn in einem Vertrag vom Gebiet der „EU“ die Rede ist, schien das bisher eine klare Regelung zu sein. Künftig ist aber Vorsicht geboten: Ist Großbritannien auch nach einem Brexit mit umfasst? Um solche Fragen zu klären, sollten bestehende Verträge geprüft und angepasst werden. Beim Abschluss neuer Verträge kann und sollte von vornherein die veränderte Lage und die politische Ungewissheit durch vertragliche Mechanismen wie Anpassungsklauseln oder Kündigungsrecht abgebildet werden.
Scheidet das Vereinigte Königreich aus der EU aus, hat das erhebliche Auswirkungen auch auf die Auslegung von Verträgen, insbesondere, wenn der Vertragstext auf die EU oder auf das Gebiet der EU Bezug nimmt – relevant nicht nur, aber ganz besonders bei Vertriebs- und Lizenzverträgen. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden. Bei einer dynamischen Verweisung ergibt die Auslegung, dass der jeweils aktuelle Bestand an Mitgliedstaaten gemeint war. Möglich ist aber auch, dass die EU nur ein Kürzel für den Bestand der zur Zeit des Vertragsschlusses existenten Mitgliedstaaten sein soll: Ein Brexit würde dann die insoweit statische territoriale Inbezugnahme des Vereinigten Königreichs nicht verändern. Im Zweifel wird man davon ausgehen können, dass ein Vertrag mit dem Begriff „EU“ das Gebiet des Vereinigten Königreichs auch nach einem Brexit noch umfasst. Aber wirklich eindeutig ist das nicht.
Bei der Gestaltung noch abzuschließender Verträge ist es deshalb empfehlenswert, entsprechend Vorsorge zu treffen und den Fall eines Brexits explizit anzusprechen. So sollte ein Vertrag auch regeln, wer zukünftig etwaige Zölle zwischen UK und der EU zu tragen hat und wie mit einem weiteren Kursverfall des Pfunds umgegangen wird. Dazu können aufschiebende Bedingungen gestellt, Rücktrittsrechte vorgesehen oder die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung privatautonom definiert werden.
Erheblich komplizierter als die Gestaltung neuer Verträge ist die Anpassung bereits bestehender. Würden künftig etwa zwischen Deutschland bzw. der EU und dem Vereinigten Königreich wieder Zölle erhoben werden, wären die langfristigen Lieferverträgen zugrundeliegenden Kalkulationen weitgehend obsolet. Wenn die Verträge also keine Regelung dazu treffen, wer etwaige Zölle zu tragen hat – etwa durch die Verwendung der INCOTERMS –, muss der Vertrag angepasst werden. Das kann einvernehmlich geschehen, alternativ kommt eine Klage auf Vertragsanpassung in Betracht. Erforderlich dafür ist allerdings eine schwerwiegende Veränderung der Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, die derart einschneidend ist, dass ein Festhalten an der ursprünglichen Regelung zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde und das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung für die betreffende Partei deshalb unzumutbar wäre. Der Ausgang des Referendums allein genügt dafür noch nicht; auch der zwischenzeitliche Kursverfall des Pfundes gegen den Euro rechtfertigt noch kein Anpassungsverlangen. Denn aufgrund der Volatilität der Wechselkurse wohnt Fremdwährungsschulden immer auch ein spekulatives Element inne. Und auch erhebliche Änderungen in der britischen Gesetzeslage oder in der Rechtsprechung nach einem Brexit rechtfertigen nicht per se eine Anpassung des Vertrags, insbesondere soweit ein etwaiges Austrittabkommen einen Interessenausgleich auch für bestehende Vertragsverhältnisse schafft.
18. Juli 2016