Prof. Dr. Tobias LenzJerome Nimmesgern

„Autonomes Fahren“ - Ungeklärte Haftungsfragen

In Zukunft sollen Fahrzeuge „von selbst" am Straßenverkehr teilnehmen können, d.h. autonom fahren. Schon heute sind aktive Fahrzeugassistenzsysteme wie Spurhalte- oder Einparkassistenten in Fahrzeugen keine Seltenheit. Sie erhöhen die Sicherheit und bieten dem Fahrer zusätzlichen Komfort. In Anbetracht des technischen Fortschritts und des Innovationstriebes der Fahrzeughersteller - jüngst rollte (mit einer Ausnahmegenehmigung) ein LKW auf der A8 bei Stuttgart zu Testzwecken vollautomatisch über die Autobahn - ist ein „Roboterauto" längst keine Utopie mehr. Aber wer haftet, wenn Fahrer bloße Passagiere werden und es zu Verkehrsunfällen kommt?

Hintergrund

Vom „autonomen Fahren" im engeren Sinne wird erst dann zu sprechen sein, wenn der menschliche Fahrer tatsächlich überflüssig wird und das Fahrzeug „kraft eigener künstlicher Intelligenz" im Rahmen - der noch zu schaffenden - Verkehrsinfrastruktur am Straßenverkehr teilnehmen kann. Noch ist unsere heutige Rechtsordnung für den Einsatz autonomer Fahrzeuge nicht gewappnet. Nach der Wiener Straßenverkehrskonvention (Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968) beispielsweise - ein internationaler Vertrag, mit welchem sich Deutschland und viele andere Länder der EU dazu verpflichtet haben, bestimmte Verkehrsregeln zu schaffen und einzuhalten (vgl. für Deutschland beispielsweise die Straßenverkehrsordnung: StVO) - darf es Fahrzeuge ohne Fahrer grundsätzlich nicht geben. Der Fahrer muss das Fahrzeug jederzeit beherrschen, d.h. führen können. Auf europäischer Ebene sind Fahrzeuge mit autonomen Lenkungen deshalb auch (noch) nicht genehmigungsfähig. Elektrische Lenkungen sind nur bis zu einer Geschwindigkeit von 10 km/h zulässig, wobei auch hier ein Mensch jederzeit übersteuern können muss. Es ist aber zu prognostizieren, dass die rechtlichen Zulassungsvoraussetzungen Schritt für Schritt geschaffen werden. Im letzten Jahr ist z. B. eine Änderung des Wiener Übereinkommens beschlossen worden: Autonome Systeme, die der Fahrer jederzeit wieder abschalten und so die Entscheidungsgewalt über das Fahrzeug übernehmen kann, sollen nunmehr zugelassen werden können. Thema wird vor diesem Hintergrund in den nächsten Jahren zunächst das sog. „vollautomatische Fahren" sein, also die Vorstufe zum autonomen Fahren, wie beispielsweise der serienmäßige Einsatz von „Autobahnpiloten".

Haftung

Wer wird - ausgehend von der aktuellen Gesetzeslage - haftbar sein, wenn ein Fahrzeug im vollautomatischen Betrieb, wie z.B. auf der Autobahn, in einen Unfall verwickelt wird?

Als potentielle Anspruchsgegner dürften vor allem die Fahrzeug(end)hersteller und Fahrzeugteilezulieferanten in Betracht kommen. Voraussetzung ist insoweit (europaweit), dass das Fahrzeug nicht die Sicherheit bietet, die der Verkehr berechtigterweise erwartet. Da ein vollautomatisches Fahrzeug die Erhöhung der Verkehrssicherheit bezweckt, stellt sich die Frage, ob von einem automatischen System mehr Sicherheit zu verlangen ist als von einem menschlichen Fahrer, der den Unfall in der gleichen Situation - hätte er sich so verhalten, wie es der Verkehr von ihm erwartet - nicht hätte vermeiden können. Ein solches Verständnis wird regelmäßig auf die Haftung der Hersteller abzielen, die für Konstruktion und Fabrikation des Fahrzeuges einerseits, aber andererseits auch für die Instruktionen zum automatischen System (z. B. für umfangreiche Bedienungsanleitungen) verantwortlich sind.

Daneben haften (weiterhin) grundsätzlich der Fahrzeughalter und dessen gesetzliche Fahrzeughaftpflichtversicherung. Schließlich kommt der Fahrer als Anspruchsgegner in Betracht. Der Halter haftet grundsätzlich schon deshalb, weil er das Betriebsrisiko des Fahrzeugs trägt; er nutzt das Fahrzeug auf eigene Rechnung und besitzt die tatsächliche Verfügungsgewalt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt; ob er - wie der Fahrer - selbst am Verkehr teilnimmt, ist unerheblich. Sobald aber ein Fehler der automatischen Software, bzw. des automatischen Systems als Unfallursache im Raume steht - was, je fortgeschrittener der technische Automatisierungsprozess voranschreitet, auch umso wahrscheinlicher wird - werden Halter und Versicherung eine Schadloshaltung über den Fahrzeughersteller/Teilezulieferer anstreben; auch der Fahrer wird sich mit der Schutzbehauptung verteidigen, dass nicht er selbst, sondern das autonome Steuerungssystem das Fahrzeug geführt hat. In der Praxis dürfte dies vor allem auf ein Beweisproblem hinauslaufen. Ohne technische Hilfsmittel (oder einer Änderung der Beweislast zu Lasten der Hersteller) wird es schwer möglich sein, festzustellen, ob ein Mensch oder das System ein Fahrzeug zum Unfall geführt und damit ein Produktfehler vorgelegen hat. Insoweit wird diskutiert, ob etwa Datenschreiber o.ä. in das Fahrzeug eingebaut werden müssen, anhand deren Auswertung im Nachgang an den Unfall nachvollzogen werden kann, wann der Mensch das Steuer übernommen hatte.

Möglicherweise stellen sich die angesprochen Haftungs- und Beweisprobleme in der Praxis im Endeffekt dann aber doch nicht: Der schwedische Fahrzeughersteller VOLVO hat  jüngst angekündigt, bei Unfällen mit seinen selbstfahrenden Fahrzeugen künftig die „volle Haftung" übernehmen zu wollen. Ob dies den ersten Schritt zu einer Art „Garantiehaftung" der Fahrzeughersteller bedeutet und ob andere Fahrzeughersteller „nachziehen", bleibt abzuwarten.

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