Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für ArbeitsrechtStephanie Krüger, Arbeitsrecht

Anrechnung von Sonderzahlungen auf gesetzlichen Mindestlohn

Sonderzahlungen, die Arbeitsentgelt für die normale Arbeitsleistung darstellen und monatlich unwiderruflich gewährt werden, können auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden, so das LAG Berlin-Brandenburg (Pressemitteilung des LAG Berlin-Brandenburg Nr. 06/2016 vom 17.01.2016).

Die gerichtliche Entscheidung

Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 12.01.2016 - 19 Sa 1851/15) hatte sich kürzlich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Jahressonderzahlung, von der jeden Monat ein Zwölftel ausgezahlt wird, auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden kann oder nicht.

Zwischen Klägerin und Beklagter ist arbeitsvertraglich ein Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro brutto vereinbart. Weiter ist mit der Klägerin - ebenso wie mit zahlreichen weiteren Beschäftigten im Betrieb - im Arbeitsvertrag eine Sonderzahlung zweimal jährlich in Höhe eines halben Monatslohnes, abhängig nur von vorliegender Beschäftigung im jeweiligen Jahr, vereinbart. Hierzu haben die Beklagte und der im Betrieb bestehende Betriebsrat vereinbart, diese Sonderzahlungen auf alle zwölf Monate zu verteilen, d.h. jeden Monat ein Zwölftel der Sonderzahlung auszuzahlen. Mit dieser zusätzlichen anteiligen Sonderzahlung ergibt sich ein Stundenlohn der Klägerin von mehr als 8,50 Euro. Die arbeitsvertraglich vorgesehenen Überstunden-, Sonn- und Feiertags- sowie Nachtzuschläge, berechnet die Beklagte allerdings weiterhin auf der Grundlage des vereinbarten Stundenlohnes von weniger als 8,50 Euro. Hiergegen hat sich die Klägerin gewandt und geltend gemacht, ihr stünden die Sonderzahlungen zusätzlich zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro zu. Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro sei auch der Berechnung der Zuschläge zugrunde zu legen.

Das LAG sah eine Anrechnung im vorliegenden Fall mit Hinweis auf die Bedeutung der im Einzelfall getroffenen Vereinbarung überwiegend für möglich an. Die Sonderzahlung sei Arbeitsentgelt für die normale Arbeitsleistung der Klägerin. Die vertraglich geregelten Mehrarbeits-, Sonntags- und Feiertagszuschläge habe die Arbeitgeberin zulässig auf der Basis der vereinbarten vertraglichen Vergütung berechnet. Dagegen seien die Nachtarbeitszuschläge auf der Basis des Mindestlohns von 8,50 Euro zu berechnen, weil § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz einen angemessenen Zuschlag auf das dem Arbeitnehmer „zustehende Bruttoarbeitsentgelt" vorschreibe.

Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg ist noch nicht rechtskräftig. Das Landesarbeitsgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Rechtlicher Hintergrund

Das MiLoG regelt nicht ausdrücklich, welche geldwerten Leistungen des Arbeitgebers auf die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns angerechnet werden können. Die Gesetzesbegründung besagt hierzu, eine Anrechnung könne nur erfolgen, wenn der jeweilige Betrag vor dem für den Mindestlohn maßgeblichen Fälligkeitsdatum unwiderruflich ausbezahlt wird.
Anrechnungsfähig sind nach vorherrschender Meinung lediglich Zahlungen, die „funktional gleichwertig" mit dem Mindestlohn sind, also zumindest auch Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung darstellen. Nicht anrechnungsfähig sind demnach Zahlungen, die ausschließlich anderen Zwecken dienen, wie z. B. Weihnachtsgeld, das zur Honorierung von Betriebstreue nach bisheriger Betriebszugehörigkeit bemessen wird.

Hinweis

Die Entscheidung entspricht damit der überwiegenden Kommentarliteratur. Zu beachten ist, dass nicht jede monatlich ausgezahlte Sonderzahlung mindestlohnwirksam ist. Besonderheit in diesem Fall war, dass die Sonderzahlung nicht an Bedingungen geknüpft war. Sobald die Sonderzahlung von weiteren Voraussetzungen wie z.B. der Betriebstreue des Arbeitnehmers abhängig gemacht wird, ist davon auszugehen, dass sie nicht mehr auf den Mindestlohn angerechnet werden kann.

Entscheidend für die Anrechenbarkeit ist also, ob die Sonderzahlung „Entgeltcharakter" hat. Wie dies genau zu bestimmen ist, bzw. welche Kriterien für die Auslegung der Sonderzahlungsabrede herangezogen werden können, ist aber noch unklar. Insgesamt bleibt abzuwarten, ob das BAG Gelegenheit erhält, die Entscheidung zu überprüfen und dabei für weitere Klärung sorgen kann.

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