Dr. Wolfgang Schmid, WettbewerbsrechtHolger Hiss, Gesellschaftsrecht

Sittenwidrige Abtretung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen

Die Abtretung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche an einen Kläger, der im Falle seines Unterliegens finanziell nicht in der Lage ist, die Gerichtskosten zu tragen und den Beklagten die Prozesskosten zu erstatten, kann sittenwidrig und damit nichtig sein.

Vorgeschichte

Nachdem das Bundeskartellamt am 14.04.2003 eine Pressemitteilung über Kartellabsprachen zwischen Zementherstellern veröffentlicht hatte, ließ sich ein Kartellklageunternehmen die Ansprüche von Geschädigten gegen eine prozentuale Erfolgsbeteiligung abtreten und klagte im Jahr 2005 einen dreistelligen Millionenbetrag ein. Unter Hinweis auf die fehlenden finanziellen Mittel, um im Falle eines Unterliegens den Beklagten die Prozesskosten erstatten zu können, beantragte die Klägerin vorab eine Herabsetzung des Streitwertes auf 5 Mio. EUR. Ende 2013 hatte das LG Düsseldorf (Az. 37 O 200/09 (Kart)) entschieden, die Abtretungen von Schadensersatzansprüchen der Geschädigten des Zement-Kartells zum Zwecke der gebündelten prozessualen Geltendmachung seien in diesem Fall nichtig, weil es gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstoße, als Kläger eine vermögenslose Partei vorzuschieben. So werde das Prozesskostenrisiko unbillig zu Lasten der beklagten Partei verlagert.

Das Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.02.2015, Az. VI U (Kart) 3/14

Das OLG Düsseldorf hat die Abweisung der Klage des Kartellklageunternehmens bestätigt, zum einen weil ein wesentlicher Teil der Ansprüche verjährt waren, zum anderen - und insoweit ist die Entscheidung besonders interessant - weil es die Abtretungen ebenfalls für sittenwidrig und nichtig hielt.

Auszugehen sei zwar von dem Grundsatz, dass kein Beklagter Anspruch darauf habe, von einem solventen Kläger verklagt zu werden. Abtretungen und Prozessführungsermächtigungen dürften indessen nicht dazu missbraucht werden, den Prozessgegner und die Staatskasse der Möglichkeit zu berauben, ihren Rechtsanspruch auf Ersatz der Prozesskosten zu verwirklichen. Ein solcher Missbrauch sei im Grunde anzunehmen, wenn eine unvermögende Partei zur gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung vorgeschoben werde und dies eine bewusste und einseitige Verlagerung des Kostenrisikos bezwecke (Rn. 73).

Im konkreten Fall verfügte die Klägerin zum Zeitpunkt der Abtretungen nur über eine unzureichende Finanzausstattung. Ihr Stammkapital und diverse Kostenzuschüsse hätten allenfalls die eigene Prozessvorbereitung sowie die Gerichtskosten der ersten Instanz bei einem Streitwert von 5 Mio. EUR decken können, nicht aber die Gerichtskosten für weitere Instanzen oder die Kosten der Beklagten im Falle des Prozessverlustes. Weitere Kostendeckungszusagen Dritter waren ebenfalls nicht vorhanden (Rn. 75 ff.). Dass die Verlagerung des Prozesskostenrisikos auch der in Kauf genommene Zweck der Abtretungen war, folgert das Gericht vor allem aus dem augenfälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in den Abtretungsverträgen und der Internetwerbung der Klägerin, die Kostenrisiken des Schadensersatzprozesses zu übernehmen (Rn. 96 ff., 114 ff.) Zudem merkte das Gericht an, dass das von der Klägerin vorgetragene Hauptziel der Abtretungen, nämlich die Vermeidung mehrfacher Beweisaufnahmen und die Einsparung von Prozesskosten, auch durch eine aktive Streitgenossenschaft hätte erreicht werden können (§§ 59 ff. ZPO). Eine kartellrechtsspezifische „strukturelle Unterlegenheit" wegen einer Vielzahl von Beklagten mit potentiellen Kostenersatzansprüchen sei ebenfalls nicht anzuerkennen, da ein derartiges Risiko generell in Zivilprozessen mit mehreren Gegnern auftrete; an dieser Betrachtungsweise ändert auch das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip nichts (Rn. 111 ff.).

Praxishinweis

Der Entscheidung kann kein Gebot der gleichmäßigen Verteilung des Prozesskostenrisikos entnommen werden. Es bleibt vielmehr bei dem Grundsatz, dass jeder das Risiko in Kauf zu nehmen hat, von einem vermögenslosen Kläger (auch zu Unrecht) verklagt zu werden. Dies folgt aus dem in Deutschland geltenden allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch. Überlassen die Geschädigten die gerichtliche Geltendmachung ihrer Ansprüche indessen einem nichtsolventen Kläger mit der Folge, dass sich das Prozesskostenrisiko auf die beklagte Partei verlagert, gilt es zu prüfen, ob dies zu einem Verstoß gegen die guten Sitten und damit zur Nichtigkeit der Forderungsabtretungen führt.

Die Entscheidung bedeutet aber keinesfalls das Ende der gebündelten Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Sinne einer „unechten Sammelklage". Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass die Wirksamkeit der Abtretungen neben dem Nachweis ausreichender eigener Liquidität zum Beispiel auch dadurch gewährleistet werden könnte, dass mit den Zedenten eine Mithaftung für die Prozesskosten im Falle des Unterliegens vereinbart wird. Das Prozesskostenrisiko gerade von Kartellschadensersatzklagen wird in Zukunft eher steigen, zumal kostenproduzierende Beitritte von Streithelfern nicht vom Willen des Beklagten abhängig sind und im Falle des Unterliegens auch deren Kosten zu tragen sind.

In jedem Falle wäre es kein Fehler, wenn sich der deutsche Gesetzgeber mit der Frage beschäftigen würde, ob Abtretungsmodelle besondere Vorkehrungen hinsichtlich der finanziellen Absicherung bedürfen.

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