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Neues Zivilrecht in Tschechien: praktische Erfahrungen in den ersten Monaten

Wenn in Deutschland BGB, HGB, das im EGBGB enthaltene internationale Privatrecht, GmbH-Gesetz, Aktiengesetz, die Grundbuchordnung und viele weitere Gesetze auf einen Schlag geändert und insgesamt 180 Gesetze abgeschafft würden, wäre das eine echte Revolution. Diesen Schritt hat Tschechien zum 1. Januar 2014 gewagt, sehr zur Überraschung der Öffentlichkeit, die noch bis zum Winteranfang mit einer Verschiebung rechnete. Das neue tschechische Zivilrecht übernimmt viele Gedanken des deutschen Rechts.  Wir berichten über die wichtigsten Neuregelungen und die ersten Erfahrungen in der Praxis.

Das neue tschechische Zivilrecht wurde seit mehr als 10 Jahren vorbereitet. Ziel war eine moderne, kohärente Rechtsordnung für die Marktwirtschaft. Speziell das aus 1964 stammende Zivilgesetzbuch sollte abgelöst werden. Die gute Nachricht: Es wird die Vertragsfreiheit der Parteien gestärkt. Und speziell für uns interessant: das neue Recht übernimmt sehr viel Gedanken und Institute des deutschen Rechts. Rein quantitativ hat Tschechien allerdings die Nase vor: das tschechische BGB umfasst über 3000 Paragraphen. Das in einem Gesetz zusammengefasste Gesellschaftsrecht („Gesetz über Korporationen“) hat über 700 Bestimmungen.

Nachfolgend einige der wichtigsten Änderungen im Detail und die ersten Erfahrungen :

Gesellschaftsrecht

Die bewährte s.r.o. (entspricht der GmbH) erfordert nur mehr 1 CZK Stammkapital, der gesetzliche Reservefonds wird abgeschafft, die Bewertung von Sacheinlagen wird erleichtert, es gibt mehr Freiheit bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages, der Austritt aus der Gesellschaft  und die gemeinsame Vertretung durch Geschäftsführer und Prokuristen wird ermöglicht.

Vor allem wird das sog. Kettenverbot (Verbot, dass die s.r.o. als einzigen Gesellschafter eine GmbH mit wiederum nur einem Gesellschafter hat) abgeschafft. Viele sehen mit Erleichterung  die Abschaffung des alten § 196a HGB, der für eine Vielzahl von Transaktionen und Haftungsübernahmen ein Sachverständigengutachten erforderlich machte und oft zur Nichtigkeit on Transkationen zwischen verbundenen Personen führte.

Umgekehrt werden für die Statutarorgane tschechischer Gesellschaften neue Regeln für die Haftung aufgestellt. Statt der Formel von der ordentlichen Sorgfalt  des vorsichtigen Kaufmanns gilt die auch in Deutschland angewendete Business Judgement Rule.  In Krisensituationen ist insbesondere der neue Massstab des sog. wrongful trading wichtig, der die Haftung eines Geschäftsführers begründen kann, der leichtfertig weiter geschäftlich aktiv ist, statt den Bankrott abzuwenden. Eine unklare Bestimmung ermöglicht sogar eine Haftung des Gesellschafters, wenn er den Bankrott nicht aktiv abwendet.

Im Bereich der Aktiengesellschaften bleiben zwar Anforderungen an das Mindestkapital (etwa EUR 80.000), allerdings sind Arbeitnehmervertreter nicht mehr zwangsweise im Aufsichtsrat vertreten. Neu ist auch die Möglichkeit einer monistischen Struktur, wie sie aus anderen Rechtsordnungen – etwa der Schweiz  bekannt ist; statt Vorstand und Aufsichtsrat wird die AG dann von einem Verwaltungsrat und Direktoren geführt.

Gesellschaftsverträge sind bis 30. Juni 2014 an das neue Recht anzupassen. Die größten praktischen Schwierigkeiten ergaben sich bisher aus dem Erfordernis des Gesetzes, dass Vollmachten die Form des durchzuführenden Rechtsgeschäfts haben müssen. Da die Änderung von Gesellschaftsverträgen eine notarielle Niederschrift erfordert, umgekehrt im Ausland oft eine notarielle Niederschrift zur Vollmachterteilung nicht bekannt oder sehr teuer ist, bestehen in der Praxis eine Vielzahl von pragmatischen Lösungen, die alle den Nachteil haben, irgendwie gegen den Wortlaut des Gesetzes zu verstossen, aber bis zur gesetzgeberischen Korrektur wohl toleriert werden.

Immobilienrecht

Am spektakulärsten war die Wiedereinführung des Grundsatzes „superficies solo cedit“, d.h., dass Gebäude Bestandteil des darunter liegenden Grundstücks werden. Wo unterschiedliche Eigentümer bestehen, werden Vorkaufsrechte eingeräumt. Neu wurde ein Erbbaurecht eingeführt. Es wird der Grundsatz des gutem Glaubens des Immobilienkatasters gestärkt, andererseits empfiehlt es sich aus Eigentümersicht, spätestens alle drei Jahre die Kastereintragung zu kontrollieren (kann auch online erfolgen), um böswillige Verfügungen durch angeblich gutbläubige Dritte zu vermeiden. Immobilienübertragungen können aber weiterhin kostengünstig ohne Notar aufgrund blosser Unterschriftsbegalubigung abgewickelt werden.

Das Verfahren am Kataster änderte sich erheblich und führte in den Anfangsmonaten 2014 zusammen mit der Neuregelung der Schenkungssteuer zu mehrwöchigen Verzögerungen bei Immobilieneintragungen.

Bei Gewerbemieten wird erheblich mehr Vertragsfreiheit eingeräumt. Umgekehrt werden beim Eigentumswechsel Kündigungsrechte des Vermieters statt des Mieters eingeführt, wenn er die Existenz eines Mietvertrages nicht kannte oder kennen musste. Überrasc hend aus deutscher Sicht und möglicherweise viele Jahre in der Auslegung unklar ist das Konzept des Ausgleichsanspruchs des Altmieters eines Geschäftsraums, wenn er eine Kundenbasis geschaffen hat und ein Neumieter von dieser profitiert.

Forderungsgläubiger haben zukünftig größeren Spielraum bei der Verwertung des Pfandgegenstandes. Refinanzierungen werden durch Einführung eines Eigentümergrundpfandrechts und des Rangtausches erleichtert.

Vertragsrecht 

Weist ein Vertrag Fehler auf, soll er künftig nach Möglichkeit aufrecht erhalten bleiben. Bislang bejahen die Gerichte oft eine Nichtigkeit, auch wenn dies wirtschaftlich sinnlos ist. Die Verjährung beträgt zukünftig grundsätzlich drei Jahre (Beginn abweichend vom deutschen Recht  immer taggenau und nicht zum Jahresende!); die Verjährungsfrist kann aber erstmalig verlängert oder verkürzt werden. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben und eine Inhaltskontrolle von AGB auch im kaufmännischen Bereich wird neu eingeführt.  Daneben werden neue Regelungen von Formularverträgen eingeführt.

Aus Sicht eines deutschen Verkäufers nach Tschechien ist die neue Regelung des Eigentumsvorbehalts besonders wichtig: Um auch gegenüber Gläubigern wirksam zu sein, muss dieser zumindest in schriftlicher Form mit beglaubigten Unterschriften vereinbart worden sein. Kleinere Rückstände in Ratenzahlungen berechtigen nicht zum Rücktritt und Verlangen der Herausgabe.

Zivilprozessrecht

Die einschneidenste Änderung in der Praxis stellt die Abschaffung der bisherigen Handelsgerichtsbarkeit dar. Auch Streitigkeiten zwischen Unternehmern werden zukünftig von den Amtsgerichten entschieden, die keinerlei neue personelle oder materielle Ausstattung erhielten und genügend mit der Anpassung an das neue Recht zu kämpfen haben. Die Prozessdauern werden sich zukünftig wieder erheblich verlängern. Deutschen Unternehmern kann man nur noch dringender die Vereinbarung eines (meist nicht nur schnelleren, sondern auch günstigeren) Gerichtsstandes in Deutschland anraten.

Fazit

Das neue tschechische Zivilrecht bietet viele neue Chancen der Vertragsgestaltung und erleichtert trotz der bisherigen Anlaufschwierigkeiten das Leben von Unternehmern in Tschechien. Weitere Informationen können in deutscher wie auch englischer Sprache auf unserer Website herunter geladen werden.

Arthur Braun, M.A., bpv Braun Partners, Prag

Dr. Barbara Mayer
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht

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