Gerichtliche Zuständigkeit bei innereuropäischen Produkthaftungsfällen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte kürzlich einen Rechtsstreit zu entscheiden, dem ein etwas ungewöhnlicher Sachverhalt zugrunde lag: Der österreichische Kläger hatte bei einem ebenfalls österreichischen Verkäufer ein in Deutschland hergestelltes Fahrrad erworben. Mit diesem stürzte er bei einem Ausflug nach Deutschland, angeblich wegen eines Produktfehlers. Daraufhin verklagte er den deutschen Hersteller vor dem Gericht an seinem Wohnort in Österreich. Die österreichischen Gerichte waren der Auffassung, für diesen Rechtsstreit nicht zuständig zu sein. Der Oberste Gerichtshof in Österreich setzte den Rechtsstreit letztlich aus und legte die Frage dem EuGH zur Entscheidung vor.

Nach der europäischen Gerichtsstandsvereinbarung (EuGVVO, dort Art. 5 Nr. 3) ist in Produkthaftungsfällen das Gericht des Ortes zuständig, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH kann dies entweder der sogenannte „Erfolgsort" (oder auch Unfallort) sein oder aber der Ort, an dem die Ursachenkette für den Schaden in Gang gesetzt wurde (der „Handlungsort"), wobei der Kläger ein Wahlrecht zwischen diesen beiden Orten hat. Der Erfolgsort war in diesem Fall in Deutschland, so dass der Kläger in Deutschland hätte klagen müssen. Die vom EuGH zu entscheidende Frage war aber, ob der Handlungsort (i) der Ort der Herstellung des Produkts, (ii) der Ort des Inverkehrbringens des Produkts oder (iii) der Ort des Erwerbs des Produkts durch den Benutzer ist.

Das Gericht entschied die Vorlagefrage dahingehend, dass sich in Produkthaftungsfällen der Ort der Schadensverursachung dort befindet, wo das Produkt hergestellt wurde. Die Herstellung des mängelbehafteten Produkts sei dabei das erste Glied in der zum Schaden führenden Ereigniskette. Dies sei auch deshalb sachgerecht, weil am Herstellungsort von vornherein leichter Beweise über etwaige Mängel erhoben werden könnten. Die Zuständigkeit der Gerichte am Herstellungsort sei für beide Seiten auch vorhersehbar und benachteilige deshalb niemanden unbillig. Allein die Erwägung, dass es für einen Verbraucher möglicherweise günstiger sei, im eigenen Land klagen zu können, rechtfertige noch kein anderes Ergebnis.

Das Urteil des EuGH stellt klar, dass in innereuropäischen grenzüberschreitenden Produkthaftungsfällen immer am Herstellungsort geklagt werden kann, da dies der Handlungsort ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH hat(te) der Geschädigte ein Wahlrecht, entweder am Herstellungsort oder am Unfallort zu klagen.

Allerdings wirft das Urteil nun die Frage auf, ob am Herstellungsort geklagt werden muss. In diese Richtung wird das Urteil derzeit von einigen Kommentatoren ausgelegt. Dabei wird aber übersehen, dass dem Rechtsstreit die eingangs geschilderte ungewöhnliche Situation zugrunde lag. Der Kläger hatte kein Interesse, am „Unfallort" zu klagen, da auch dieser in Deutschland lag. Der EuGH musste - und konnte - daher gar nicht entscheiden, ob der Gerichtsstand bei Produkthaftungsfällen immer am Herstellungsort liegt. Er entschied lediglich, dass am Herstellungsort zu klagen ist, wenn der Geschädigte von seinem Wahlrecht Gebrauch macht und am „Handlungsort" klagt. Die Interpretation der Entscheidung, wonach zwingend am Herstellungsort geklagt werden muss, ist aber durchaus nachvollziehbar. Zwar weist der EuGH am Anfang der Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass er sich mit dem Unfallort nicht befasst hat und verweist auf seine bisherige Rechtsprechung zu dieser Frage. Andererseits begründet der EuGH seine Entscheidung mit Argumenten, die ebenso für den Unfallort gelten können. Es bleibt daher leider unklar, ob der EuGH tatsächlich eine derart umfassende Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung beabsichtigt.

Die Frage, wo ein Geschädigter produkthaftungsrechtliche Ansprüche geltend machen kann, ist von erheblicher praktischer Relevanz. Sollten Geschädigte in Zukunft tatsächlich am Herstellungsort klagen müssen, führt dies bei grenzüberschreitenden Sachverhalten dazu, dass das jeweilig zuständige Gericht über ausländisches Recht zu entscheiden hat. Das anwendbare Recht richtet sich nämlich - eben anders als der Gerichtsstand - in der Regel nach dem Wohnsitz des Geschädigten. Dieses Auseinanderfallen von Gerichtsstand und anwendbarem Recht würde nicht zuletzt zu erheblichen Kosten für alle Parteien führen.

Offen bleiben auch noch einige weitere Fragen. Unklar bleibt, ob der EuGH als „Hersteller" nur den tatsächlichen Produzenten oder aber auch Importeure und „Quasi-Hersteller" (das sind solche, die sich durch Anbringen der eigenen Marke als Hersteller ausgeben, ohne das Produkt tatsächlich hergestellt zu haben) ansieht. Bei diesen beiden greift indes das Hauptargument des EuGH, die besondere Sachnähe, gerade nicht.

Nachdem es verschiedene Interpretationen des Urteils gibt, ist zu wünschen, dass der EuGH baldmöglichst Gelegenheit zu einer Klarstellung erhält. Aufgrund der besonderen Umstände des Sachverhaltes (Herstellungs- und Unfallort in Deutschland), ist davon auszugehen, dass der EuGH seine Rechtsprechung nicht ändern wollte und er auch in Zukunft dem Geschädigten die Wahl lässt, am Herstellungsort oder am Unfallort klagen zu können.

Dr. Hendrik Thies
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Sebastian Hoegl, LL.M. (Wellington)

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