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BAG zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf Betriebe im Ausland

Ein gekündigter Arbeitnehmer kann sich im Kündigungsschutzprozess nicht darauf berufen, er könne auf einem Arbeitsplatz im europäischen Nachbarland weiterbeschäftigt werden. Das hat das BAG mit Urteil vom 29. August 2013 klargestellt. Es hat aber auch daran erinnert, dass dies auch anders sein kann - Anlass genug, sich die kündigungsrechtlichen Auswirkungen von grenzüberschreitenden Arbeitsbeziehungen näher anzusehen, sei es bei der Produktionsverlagerung ins Ausland, sei es bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern in Deutschland, deren Unternehmenszentrale aber im Ausland liegt.

Mit Urteil vom 29. August 2013 (Aktenzeichen 2 AZR 809/12, bislang nur als Pressemitteilung vorliegend) hat sich das Bundesarbeitsgericht mit der Auswirkung von Betriebsverlagerungen ins Ausland auf Kündigungsschutzprozesse im Inland beschäftigt. Das Urteil ist die Fortsetzung einer Reihe von Entscheidungen, in denen sich das BAG Licht mit der grenzüberschreitenden Betriebsverlagerung ins Ausland oder umgekehrt der Beschäftigung von (meist Außendienst)Mitarbeitern eines nicht-deutschen Konzernunternehmens im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auseinandergesetzt hat. Immer geht es um die Frage, ob sich die in Deutschland zurückgelassenen (bei Betriebsverlagerung) oder vorausgeschickten (bei Mutterkonzern im Ausland) Arbeitnehmer auf die Regelungen des deutschen Kündigungsschutzgesetzes berufen können.

1. Das Urteil des BAG vom 29. August 2013

Dem Urteil lag ein im produzierenden und verarbeitenden Gewerbe häufig anzutreffender Sachverhalt zu Grunde: Ein Unternehmen verlagerte seine Produktion aus Deutschland ins europäische Ausland, namentlich in die Tschechische Republik. In Deutschland blieben nur Verwaltung und Entwicklung zurück. Der Klägerin, seit 1984 als Textilarbeiterin in der Endfertigung in Düsseldorf beschäftigt, wurde betriebsbedingt gekündigt - ohne ihr vorher im Wege der Änderungskündigung einen Arbeitsplatz in Tschechien angeboten zu haben. Sie erhob Kündigungsschutzklage und berief sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Kündigung, da man ihr keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in der in die Tschechische Republik verlagerte Produktionsstätte angeboten habe. Dieser Einwand führt nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes regelmäßig auch dann zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich gar nicht willens ist, die an einem anderen Ort gelegene freie Stelle auch anzutreten.

Das BAG wies die Klage ab und gab dem Arbeitgeber recht: Zwar ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Kündigung eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst dann anzubieten, wenn diese mit geänderten, auch erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen verbunden ist. Diese Verpflichtung bezieht sich allerdings grundsätzlich nicht auf eine im Ausland gelegene Betriebsstätte des Arbeitgebers, die mehrere hundert Kilometer vom Betriebssitz entfernt ist. Das BAG sah sich aber - trotz der Kürze der Pressemitteilung - veranlasst, darauf hinzuweisen, dass Umstände, unter denen ausnahmsweise eine Verpflichtung des Arbeitgebers zu erwägen wäre, Arbeitnehmer im Ausland weiterzubeschäftigen, nicht vorlagen. Es gibt also Umstände, in denen sich Arbeitnehmer auf eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Ausland berufen können, erinnert das BAG seine Leser.

2. Bewertung und Hintergrund: Betriebe oder Zentralen im Ausland

Mit seinem Urteil gebietet das BAG erfreulich klar Arbeitnehmern Einhalt, sich im Prozess auf europaweit oder weltweit ausgeschriebene Beschäftigungsmöglichkeiten zu berufen, und so eine Produktionsverlagerung ins Ausland zu verhindern oder jedenfalls zu verteuern. Restrukturierungen mit Auslandsbezug bleiben so umsetzbar und darstellbar, und auch jenseits von Interessenausgleich und Sozialplan steht betriebsbedingten Kündigungen nicht der Einwand der Globalisierung entgegen.

Zugleich aber erinnert das BAG daran, dass die Grenzen der Bundesrepublik nicht immer und notwendig auch die Grenzen des Arbeitsrechts darstellen: Da sind zum einen Fälle wie der eines belgischen Unternehmens, das zwei Außendienstmitarbeiter (von deren Homeoffice aus) in Deutschland beschäftigte, aber keinen Verwaltungssitz in Deutschland hatte (2 AZR 902/06). Auch hier findet zwar regelmäßig keine Zurechnung zum Betrieb in Belgien statt, weshalb das Kündigungsschutzgesetz im entschiedenen Fall nicht anwendbar war. Das kann aber bei Rechtswahlklauseln, wie sie sich häufig finden, schnell anders sein. Eine Zurechnung zur Zentrale kommt aber auch dann in Betracht, wenn - wie in einem vom BAG zitierten fiktiven Beispielsfall - zwar die Deutschlandzentrale eines Pharmaunternehmens in der Schweiz liegt, die in Deutschland eingesetzten Außendienstmitarbeiter aber von dort aus gesteuert und angewiesen werden. Auswirkungen hat das auf die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes, das erst ab einer Betriebsgröße von mehr als 10 Mitarbeitern gilt.

Die Grenzen der Bundesrepublik überschreitet das Arbeitsrecht aber auch in dem Fall, in dem ein im Südbadischen gelegener Betrieb in die von dort nur eine Autostunde entfernte Schweiz verlagert wurde (8 AZR 37/10): Diese Verlagerung des Betriebs stand einer Kündigung der deutschen Arbeitnehmer entgegen, weil das Dogma gilt: Entweder es handelt sich um eine Stilllegung, die zur Kündigung berechtigt, oder um einen Betriebsübergang, der die Kündigung ausschließt (und zum Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber führt). Das gilt jedenfalls dann, wenn der im Ausland gelegene Betrieb in weniger als einer Stunde mit dem Auto erreichbar ist.

3. Ausblick und Praxishinweise

Das Urteil gibt Klarheit für den kündigungsschutzrechtlichen Alltag, und verhindert vorgeschobene Angriffe gegen betriebsbedingten Kündigungen, hinter denen kein echtes Beschäftigungsinteresse steht, sondern nur das Ziel einer unangemessen hohen Abfindung. Das Urteil zeigt aber erneut auf, dass bei grenzüberschreitenden Arbeitsbeziehungen Umsicht und Planung Not tun, ob das den Einsatz von Arbeitnehmern in Deutschland betrifft, oder ob das die Betriebsverlagerung ins kostengünstigere (meist osteuropäische) Ausland betrifft. Das Arbeitsrecht macht meist, aber eben nicht notwendig an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland halt.

Dr. Philipp Wiesenecker
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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