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Vertriebsrecht: Kartellrechtliche Grenzen beim Angebot unter Einstandspreis

Angesichts der erheblichen Verkaufsrückgänge auf dem Automobilmarkt ist festzustellen, dass die Hersteller und Importeure selbst oder über ihre Niederlassungen Neufahrzeuge weit unter Einstandspreis anbieten - und damit ihre eigenen Vertriebspartner praktisch aus dem (Wettbewerbs-)Rennen schlagen. Es scheint indes in Vergessenheit geraten zu sein, dass dies kartellrechtlich verboten ist.


Gem. § 20 abs. 4 GWB ist es verboten, kleine und mittlere Wettbewerber durch Ausnutzung überlegener Marktmacht unbillig zu behindern. Eine unbillige Behinderung stellt insbesondere das nicht nur gelegentliche Angebot von Waren und Dienstleistungen unter Einstandspreis dar, es sei denn, es ist sachlich gerechtfertigt.

Ziel der Vorschrift ist der Schutz von kleinen und mittleren Unternehmen - das sind die Autohäuser im Regelfall - gegen unbillige Behinderungspraktiken marktstarker Konkurrenten - das sind die Hersteller selbst oder die herstellereigenen Autohäuser. Als Regelbeispiel für eine verbotene Behinderung ist durch die 6. GWB-Novelle das Angebot unter Einstandspreis ausdrücklich in die Vorschrift des § 20 GWB eingefügt worden.

1. Voraussetzung: Überlegene Marktmacht

Voraussetzung ist eine überlegene Marktmacht. Diese ist alleine im Vergleich zu kleinen und mittleren Wettbewerbern zu bestimmen. Es ist ausreichend, wenn die Voraussetzung im Verhältnis zu einem Teil der Wettbewerber, nämlich den kleinen und mittleren Unternehmen des Marktes, erfüllt ist. Dass daneben weitere große oder auch größere Unternehmen auf dem Markt tätig sind, ist für das Tatbestandsmerkmal der überlegenen Marktmacht nicht von Bedeutung.

2. Voraussetzung: Nicht nur gelegentlich:

Unter das Verbot fallen nur auf Dauer angelegte Unter-Einstandspreis-Angebote. Einzelaktionen, die sich ihrem Wesen nach eher als größere Werbeaktion darstellt (z.B. Einführungspreise und sporadische Sonderangebote) werden davon nicht erfasst. Allerdings wird vom Bundeskartellamt darauf hingewiesen, dass Sonderaktionen, die über mindestens drei Wochen andauern, schon nicht mehr als „nur gelegentliche" Werbeaktionen einzustufen sind. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob sich das fragliche Angebot immer auf dasselbe Produkt bezieht. Sie müssen sich nur auf denselben räumlichen Markt beziehen, denn sonst wirken sie auf verschiedene (mittelständische) Wettbewerber.

3. Voraussetzung: Unter-Einstandspreis

Bei der Feststellung des Einstandspreises einer Ware geht das Bundeskartellamt vom Listenpreis des Lieferanten (ohne Mehrwertsteuer) aus, von dem alle preiswirksamen Konditionen abgezogen werden, die ihren rechtlichen Grund in dem zwischen dem Lieferanten und dem Abnehmer geschlossenen Beschaffungsverträgen haben.

Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass alle zwischen dem Hersteller und dem Vertriebspartner vereinbarten Konditionen preisrelevant sind, auch wenn sie nicht ausdrücklich auf die Förderung bestimmter Waren oder Sortimentsteile Bezug nehmen. Der Einstandspreis ist daher nicht identisch mit dem für die konkrete Einzellieferung in Rechnung gestellten Preis, nur direkt zu berechenbare Abzüge wie Skonto oder Rabatt enthält. Alle weiteren Konditionen wie Jahresboni, Werbekostenzuschüsse, Verkaufsförderungsentgelte, Umsatzvergütungen und sonstige Prämien sind ebenfalls - ggf. anteilig - zu berücksichtigen.

Wird so festgestellt, dass der Hersteller direkt oder über ihre Filialen Fahrzeuge oder Ersatzteile zu Preisen anbieten, die unter den Einstandspreis der Händler unter Abzug aller oben genannter Elemente liegen, ist ein „Unter-Einstandspreis" gegeben.

4. Voraussetzung: Sachliche Rechtfertigung

Zunächst: darlegungs- und beweispflichtig für eine sachliche Rechtfertigung ist der Hersteller.

Als sachliche Rechtfertigung kommen in erster Linie betriebswirtschaftliche Notlagen in Betracht, etwa der Verderb der Ware oder auch das Angebot bei drohender Insolvenz.

Der Eintritt in niedrigere Wettbewerbspreise, die andere Hersteller anbieten, stellt indes für sich gesehen noch keine sachliche Rechtfertigung dar. Anzuerkennen ist zwar das grundsätzlich bestehende Recht, Abwehrmaßnahmen gegen aggressive Preispraktiken von Konkurrenten anderer Automobilmarken zu ergreifen; aber hier geht es um den Schutz von kleinen und mittleren Unternehmen. Deswegen ist eine Rechtfertigung nahezu ausgeschlossen, wenn es sich bei den Wettbewerbspreisen um Preise handelt, die sich mit den Einstandspreisen anderer Hersteller decken.

Das Bundeskartellamt hat allerdings bei seiner Bekanntmachung im Jahre 2003 darauf hingewiesen, dass die Frage der sachlichen Rechtfertigung einer umfassenden Abwägung der Interessen der betroffenen Unternehmen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB bedarf. Allerdings bleibt der Schutz der kleinen und mittleren Unternehmen; hier: der Autohäuser - im Fokus des § 20 Abs. 4 GWB. Und dies scheint bei verschiedenen Herstellern in letzter Zeit in Vergessenheit geraten zu sein.

Prof. Dr. F. Christian Genzow

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