Datenschutz: Generalanwalt am EuGH hält Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig

Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof hat in einem jüngst veröffentlichten Votum mit überraschender Deutlichkeit ausgeführt, dass er die Europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (nach der die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, nationale Regelungen zur Speicherung von Telekommunikationsdaten zu erlassen) als mit der EU-Grundrechtecharta unvereinbar erachtet.

Hintergrund des Rechtsstreits sind Vorabentscheidungsersuchen des irischen „High Courts" einerseits und des Verfassungsgerichtshofs von Österreich andererseits. In beiden Verfahren hatten betroffene Bürger bzw. eine Interessenvertretung gegen die jeweilige nationale Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geklagt. In Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im März 2010 die Umsetzung der Richtlinie für nichtig erklärt.

Der Generalanwalt ist in der Begründung seines Schlussantrages in weiten Teilen der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt. Insbesondere bemängelt er fehlende Schutzmechanismen für den Zugriff auf und die Auswertung der gespeicherten Daten. Dies müsse zwingend in der Richtlinie geregelt werden und dürfe nicht alleine den Mitgliedstaaten überlassen werden. Kritisch steht er überdies der Speicherfrist von bis zu zwei Jahren gegenüber.

Abzuwarten bleibt zunächst, ob das Gericht dem Antrag des Generalanwalts folgen wird. Dies ist zwar häufig der Fall, aber nicht zwangsläufig. Es ist aber mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass die Richtlinie auch durch den Gerichtshof für zumindest teilweise unwirksam erklärt wird.

Die Entscheidung dürfte auch hierzulande erhebliche Auswirkungen haben. Zum einen läuft derzeit ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland, da die Richtlinie aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht (mehr) umgesetzt ist. Bei einer Verurteilung drohen Deutschland Strafzahlungen von bis zu 115 Mio. EUR pro Jahr. Dieses Verfahren wäre sicherlich vom Tisch, wenn der Gerichtshof die Richtlinie für unwirksam erklärt.

Zum anderen haben sich die Koalitionäre der Großen Koalition in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig zur Vorratsdatenspeicherung bekannt. Völlig unklar ist aber, wer zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet sein soll und wer die Kosten der notwendigen Infrastruktur tragen muss. Nach den Erfahrungen des für nichtig erklärten ersten Umsetzungsversuchs kann nicht ausgeschlossen werden, dass von der Vorratsdatenspeicherung auch Unternehmen betroffen sein könnten, die nicht zu den klassischen Telekommunikationsdienstanbietern (z.B. Telefonanbieter, Internetanbieter, E-Mail-Provider) gehören. Dies stand jedenfalls für die Unternehmen und Einrichtungen im Raum, die nicht nur einem eng abgrenzbaren Personenkreis (wie z.B. eigenen Mitarbeitern oder immatrikulierten Studenten), sondern auch weiteren Personen (Kunden, Gäste) Zugang zum Internet ermöglichen. Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen - unabhängig ob Telekommunikationsdienstanbieter oder nicht - würde die Schaffung der notwendigen Infrastruktur vor erhebliche Probleme stellen.

Dem Antrag des Generalanwalts ist jedoch auch zu entnehmen, dass er eine grundrechtskonforme Richtlinie durchaus für möglich hält. Bis eine solche verabschiedet werden könnte, würde aber sicherlich einige Zeit vergehen. Zudem darf man gespannt sein, ob sich im Zuge der derzeitigen Diskussionen um Datenskandale überhaupt noch eine Mehrheit für eine gegebenenfalls erforderliche neue Richtlinie in den dafür zuständigen europäischen Gremien findet. Abzuwarten bleibt auch, ob hierzulande ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auch dann noch erlassen wird, wenn der Gerichtshof die Richtlinie für unwirksam erklärt.

Dr. Frank Jungfleisch, Sebastian Hoegl, LL.M. (Wellington)

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