rsz mayer barbara7108.jpg

Bundesgerichtshof erleichtert Rückzug von der Börse: Keine Barabfindung mehr beim Delisting

Unternehmen können sich künftig leichter von der Börse zurückziehen. Für den freiwilligen Rückzug eines Unternehmens von der Börse ist weder ein Hauptversammlungsbeschluss noch ein Barabfindungsangebot an die Aktionäre erforderlich. Auch das sich oftmals anschließende Spruchverfahren entfällt. Dies hat der BGH in seinem Beschluss vom 08.10.2013 (II ZB 26/12) entschieden.

Die BGH-Richter gaben einer Aktiengesellschaft Recht, die mit einer Ad-Hoc-Meldung den vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschlossenen Wechsel vom regulierten Markt der Berliner Wertpapierbörse in das Premiumsegment Entry Standard des Freiverkehrs (Open Market) der Frankfurter Wertpapierbörse bekanntgab. Nach Wirksamwerden dieses sog. Downlistings beantragten die Aktionäre die Durchführung eines Spruchverfahrens zur Festsetzung einer angemessenen Barabfindung. Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Anträge als unzulässig ab. Auch die Rechtsbeschwerden beim BGH blieben erfolglos.

„Macrotron"-Rechtsprechung des BGH

Der BGH war 2002 in seinem "Macrotron"-Urteil davon ausgegangen, dass das Delisting wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien das in Art. 14 Grundgesetz geschützte Eigentumsrecht des Aktionärs beeinträchtigt. Ein vollständiger Rückzug aus dem regulierten Markt sollte deshalb nur möglich sein, wenn die Hauptversammlung das Delisting beschließt, die Gesellschaft oder ihr Großaktionär den Minderheitsaktionären ein Angebot zum Erwerb ihrer Aktien gegen Barabfindung unterbreitet und die Angemessenheit der Abfindung im Spruchverfahren gerichtlich überprüft werden kann.

Dem hatte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.07.2012 widersprochen und klargestellt, dass der freiwillige Rückzug eines Unternehmens vom regulierten Markt den Schutzbereich des Eigentumsrechts eines Aktionärs nicht berührt. Die Pflicht der Gesellschaft bzw. des Großaktionärs, den übrigen Aktionären ein Barabfindungsangebot zu unterbreiten, sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Gleichwohl hatte das Gericht die Rechtsprechung des BGH als zulässige Rechtsfortbildung bestätigt und den Zivilgerichten die Prüfung überlassen, ob die bislang geltende Rechtsprechung Bestand haben kann.

Kehrtwende des BGH

Auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen hingewiesen hat der BGH nun mit einer überraschenden Kehrtwende seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Der Rückzug von der Börse sei eine bloße Geschäftsführungsmaßnahme und könne allein vom Vorstand, ggf. mit Zustimmung des Aufsichtsrats, beschlossen werden. Ein Barabfindungsangebot an die Minderheitsaktionäre sei nicht erforderlich. Die Verkehrsfähigkeit der Aktien aufgrund der Börsennotierung sei eine schlichte Ertrags- und Handelschance und habe keinen geschützten Wert. Die Aktionäre hätten bei einem Delisting ausreichend Zeit, ihre Aktien zu verkaufen und seien darüber hinaus durch die börsenrechtlichen Vorschriften geschützt.

Auswirkungen auf die Praxis

Der Verzicht auf einen Hauptversammlungsbeschluss und ein Barabfindungsangebot macht das Delisting künftig einfacher. Für einen Rückzug aus dem regulierten Markt an der Frankfurter Wertpapierbörse genügt nun ein Antrag des Vorstands auf Widerruf der Börsenzulassung. Dem Anlegerschutz wird genüge getan, wenn die Aktionäre bis zur Wirksamkeit des Widerrufs ausreichend Zeit haben, ihre Aktien zu veräußern. Hierfür sieht die Frankfurter Börsenordnung eine Frist von in der Regel sechs Monaten vor. Gleiches gilt, teilweise mit anderen Fristen, für die Regionalbörsen München und Stuttgart.

Insbesondere der Wegfall der Abfindungspflicht macht es für viele Unternehmen attraktiver, mit einem Börsenrückzug den kosten- und verwaltungstechnischen Aufwand einer Börsennotierung zu reduzieren. Allerdings ist die Rechnung nicht ohne einen Blick in die Börsenordnungen zu machen. Diese regeln den Anlegerschutz künftig allein. Und hier wartet nach der BGH-Entscheidung durchaus eine Überraschung: Gegenwärtig sehen die Börsenordnungen der Regionalbörsen Hamburg, Hannover und Berlin bei einem vollständigen Börsenrückzug zum Schutz der Anleger ein Angebot über den Erwerb ihrer Aktien vor. Die Börse Düsseldorf erwartet neben dem Kaufangebot sogar einen Hauptversammlungsbeschluss über das Delisting. Hier wird die Entscheidung des BGH keine großen Auswirkungen haben. Es bleibt bei der gängigen Praxis des „kalten" Delistings durch Formwechsel, Verschmelzung oder Squeeze-out.

Dr. Barbara Mayer

Kontakt > mehr