Die Europäische Anwaltschaft - genauer: „Council of Bars and Law Societies of Europe", der immerhin mehr als eine Million Anwälte repräsentiert, hat sich jüngst einstimmig und uneingeschränkt für das Projekt der EU-Kommission für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht ausgesprochen. Das ist der Erwähnung wert. Denn für gewöhnlich haben Anwälte gegen alles, was neu und noch dazu den Absender „Europa" aufweist, erhebliche Vorbehalte. Mehr und mehr übernimmt nämlich das europäische Recht das Regime und löst nach und nach - vor allem auf Grund zahlreicher Richtlinien - das nationale Recht ab. Das ist im Gesellschaftsrecht genauso wie im Privatrecht. Denn die Kommission, aber nicht nur sie, vertritt die Auffassung, dass unterschiedliche Rechtsordnungen ein Hindernis für die Verwirklichung des Binnenmarktes sind.

Dabei ist entscheidend, dass die Arbeit des „Committee on Private European Law" (geleitet von Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen) sich von Anfang an darauf verlegt hatte, die wesentlichen Eckpunkte eines solchen europäischen Kaufrechts zu fixieren. Und das Ergebnis dieser Bemühungen trifft sich in allen entscheidenden Punkten mit den Grundaussagen des Entwurfs der Kommission.

An erster Stelle: Die Wahl des europäischen Kaufrechts soll auf Basis der allgemein anzuerkennenden Vertragsfreiheit vorgenommen werden. Nicht nur der Verbraucher soll geschützt werden, auch der Unternehmer soll im so genannten b2b-Verkehr berechtigt sein, anstelle des eigenen nationalen Rechts eben das europäische Kaufrecht zu wählen. Es ist sozusagen das zweite nationale Kaufrecht. Doch es besteht neben dem UN-Kaufrecht, das sich inzwischen deswegen einer wachsenden Beliebtheit erfreut, weil die junge Generation von Anwälten dieses Gesetz bereits im Studium gelernt hat. Gleichzeitig haben die jungen Anwälte die Erkenntnis vermittelt bekommen, dass das UN-Kaufrecht in verschiedener Hinsicht dem BGB und auch dem HGB überlegen ist. Es ist also nicht vertretbar, es immer wieder - fast sklavisch - auszuschließen.

Doch das neue europäische Kaufrecht ist ein so genanntes opt-in-Model. Es kommt eben nur dann zur Anwendung, wenn beide Parteien es freiwillig wählen. Das hat für den Unternehmer jedenfalls dann beträchtliche Vorteile, wenn er - grenzüberschreitend - mit Verbrauchern kontrahiert. Denn nach der bisherigen Rechtslage ist er gezwungen, in diesen Fällen immer das jeweilige nationale Verbraucherschutzrecht zu beachten, weil es sich um zwingendes Recht handelt und von Land zu Land durchaus verschieden ist. Künftig kann der Unternehmer auf das - einheitliche - Verbraucherschutzniveau zurückgreifen, welches das europäische Kaufrecht ihm zur Verfügung stellt. Das spart Kosten und ist eine beträchtliche Vereinfachung. Genau das hat auch der CCBE betont.

Gleichzeitig hat der CCBE auch andere Eckpunkte in den Blick genommen: Nicht nur der Verbraucher muss gegenüber unfairen Vertragsbestimmungen geschützt werden, sondern auch der Unternehmer. Dies gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass die EU-Kommission den Unternehmer mit einem KMU (kleines und mittelständisches Unternehmen) gleichsetzt (250 Angestellte/Arbeitnehmer, Umsatz weniger als 50 Mio Euro). Denn diese Einheiten, auf denen ja die Wirtschaftskraft Deutschlands wie auch die Europas im Wesentlichen aufbaut, sind schutzbedürftig - vor allem gegenüber der Macht der großen Unternehmen, wenn diese rücksichtlos ihre AGB durchdrücken wollen. Der CCBE hat hier in Übereinstimmung mit der EU-Kommission eine Messlatte für die Kontrolle von unfairen Vertragsbestimmungen vorgeschlagen, die sich im Wesentlichen an dem Standard ausrichtet, den das deutsche AGB-Recht anbietet. Es ist also gewohntes Terrain, was hier im Rahmen einer europarechtlichen Verordnung bald Gesetz werden könnte.

Das Europaparlament hat schon signalisiert, dass es diesem Vorhaben zustimmen wird; der Rat ist indessen noch zögerlich. Viele befürchten, dass „Brüssel" nach und nach die Kompetenz an sich reißen wird, das Privatrecht - ein Urdomäne des nationalen Gesetzgebers - nach europäischem Mustern zu gestalten. In diesem Meinungskonzert ist es schon politisch von einigem Gewicht, dass der CCBE als der größte Stakeholder sich für dieses Vorhaben eines optionalen europäischen Kaufrechts  ausgesprochen hat. Denn damit wird natürlich auch die Beratungsarbeit des Anwalts vereinfacht und erleichtert: Er braucht „nur" noch dieses Kaufrecht zu kennen und sich in seinem Heimatrecht zu Hause zu fühlen, um den Mandaten zu raten, wie denn Export- und Importverträge künftig sauber und rechtssicher zu gestalten sind.

Dabei fällt auch ins Gewicht, dass der CCBE die Kommission aufgefordert und ermutigt hat, Musterbedingungen zu schreiben. Denn diese AGB können dann als Richtschnur gelten; und sie haben das Siegel der europarechtlichen Konformität für sich. Das ist ein gewichtiger Vorteil, den es so im deutschen Recht nicht gibt.

Natürlich, im Detail ist keineswegs alles Gold, was so glänzt. Das hat auch der CCBE an verschiedenen Stellen angemahnt, vor allem, dass bei der Mängelhaftung die Verbraucherrechte wesentlich weiter gehen als im deutschen Recht. Doch dieser Teil des Entwurfs steht auch unter Feuer von vielen anderen Gruppen, Wissenschaftlern wie Praktikern. Es ist daher zu hoffen, dass der Verbraucher im Fall eines Mangels - wie bisher - zunächst nur Nacherfüllung (Mangelbeseitigung/Ersatzlieferung) fordern kann, nicht aber sogleich auch Minderung und Rücktritt. Dies setzt allerdings auch nach dem Entwurf der Kommission voraus, dass der geltend gemachte Mangel erheblich war. Doch genau dies führt nach geltendem deutschen Recht zunächst nur zum Anspruch auf Nacherfüllung. Erst wenn eine Frist zur Nacherfüllung ergebnislos abgelaufen ist, kommen die weiteren Rechte in Betracht. Diese Perspektive schützt die Interessen des Verbrauchers ausreichend und bringt die Belange des Unternehmers hiermit ins Gleichgewicht.

Man wird mit einiger Spannung den weiteren Verlauf des Gesetzesvorhabens in Europa verfolgen müssen. Denn das Kaufrecht ist der Schritt zu einem einheitlichen Privatrecht in Europa - als Zeichen der Integration in schweren Krisenzeiten, ein Hoffnungssignal.

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen

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