Der Bundesgerichtshof hat mit zwei gleichlautenden Urteilen vom 30.03.2011 (Az. KZR 6/09 und KZR 7/09) entschieden, dass sich weder aus deutschem noch aus europäischen Kartellrecht ein Anspruch auf Zulassung als Vertragswerkstatt oder "zugelassene Werkstatt" ergebe. In den vom BGH zu entscheidenden Fällen hatte eine zugelassene Daimler-Werkstatt eine Klage auf Zulassung zum MAN-Werkstattnetz eingereicht. Entscheidend war dabei eine Neudefinition des relevanten Marktes.

Nach Auffassung des BGH scheitert der geltend gemachte Zulassungsanspruch daran, dass MAN auf dem relevanten Markt nicht marktbeherrschend im Sinne des § 19 Abs. 2 GWB sei. Der sachlich relevante Markt sei nicht der Endkundenmarkt für die Inanspruchnahme von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Nutzfahrzeuge, sondern der vorgelagerte Markt, auf dem sich die Werkstätten als Nachfrager und die Hersteller von Nutzfahrzeugen und andere Unternehmen als Anbieter von Ressourcen gegenüberstehen, die zur Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten eingesetzt werden. Einen derartigen vorgelagerten Markt könne es nicht nur beim Vertrieb von Gütern über mehrere Handelsstufen hinweg geben, sondern auch bei der Erbringung von Dienstleistungen oder der Einräumung von Rechten. Sei durch eine Industrienorm oder durch ein vergleichbares Regelwerk eine standardisierte, durch Schutzrechte geschützte Gestaltung eines Produkts vorgegeben, so bilde die Vergabe von Rechten, die potentielle Anbieter dieses Produkts erst in die Lage versetzen, das Produkt auf den Markt zu bringen, regelmäßig einen eigenen dem Produktmarkt vorgelagerten Markt.

Im Streitfall umfasst der vorgelagerte Markt nach Auffassung des BGH alle Produkte, Dienstleistungen und Rechte, die den Zutritt auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt zur Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Nutzfahrzeuge erleichtern. Dazu gehört das Angebot von Ersatzteilen, Diagnosegeräten und Spezialwerkzeugen, die Vermittlung der jeweiligen markenspezifischen Fachkenntnisse und die Zulassungen als Vertragswerkstatt für bestimmte Fahrzeugmarken. Die Zulassung als Vertragswerkstatt ist nur eine von mehreren untereinander austauschbaren Ressourcen. Dieser Markt ist nach Auffassung des BGH markenübergreifend zu betrachten. Es sei unerheblich, dass der nachgelagerte Endkundenmarkt markenbezogen abzugrenzen sei. Dass das Angebot von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Nutzfahrzeuge ohne eine Zulassung als Vertragswerkstatt unmöglich oder gar wirtschaftlich sinnlos wäre, sei weder festgestellt noch sonst ersichtlich und werde für Fahrzeuge der Marke MAN schon durch den vom Berufungsgericht festgestellten Umstand widerlegt, dass der überwiegende Teil der entsprechenden Werkstattdienstleistungen von freien Werkstätten ausgeführt werde.

Schließlich hat der BGH auch einen Zulassungsanspruch aus den §§ 33, 20 Abs. 1 GWB verneint, da die klagende Werkstatt nicht Mitglied des Vertriebsnetzes von MAN sei; insoweit fehle es an der unternehmensbedingten Abhängigkeit. Auch eine sortimentsbedingte Abhängigkeit liege nicht vor. Aus den gleichen Gründen bestehe auch kein Anspruch aus Art. 102 AEUV.

Im Gegensatz zur EU-Kommission beurteilt der BGH den vorgelagerten Markt nicht markenspezifisch, sondern markenübergreifend. Überdies lässt der BGH in den beiden Entscheidungen den markenbezogenen Folgemarkt für die Frage der marktbeherrschenden Stellung außer Acht. Ob und inwieweit diese Rechtsprechung auf andere Branchen übertragbar ist, wird vom Einzelfall abhängen. Allerdings hat der BGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Betrachtung des vorgelagerten Marktes zur Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung nicht nur beim Vertrieb von Gütern erforderlich sei, sondern auch bei der Erbringung von Dienstleistungen oder der Einräumung von Rechten. Es spricht daher Einiges dafür, dass der BGH die vorangestellten Grundsätze auch bei der Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung in anderen Branchen anwenden wird.

Dr. Stefan Zipse

 

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