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Vorlagebeschluss an den EuGH zum Insiderrecht

Im Schadensersatzprozess gegen die Daimler AG wegen angeblich verspäteter Veröffentlichung von Insiderinformationen hat der BGH in einen Vorlagebeschluss dem EuGH Fragen zur Auslegung vorgelegt, die zentrale Voraussetzungen einer Verpflichtung zur Veröffentlichung von Ad-hoc Mitteilungen betreffen.

Hintergrund

Im Rahmen von Schadensersatzklagen nach § 37b WpHG gegen die Daimler AG hat der BGH ein Musterrechtsbeschwerdeverfahren ausgesetzt und dem EuGH zwei Fragen zum Entstehungszeitpunkt von Insiderinformationen bei künftigen Umständen oder Ereignissen vorgelegt. Von der Bestimmung dieses Zeitpunktes hängt der Eintritt von Veröffentlichungspflichten (Ad-hoc Mitteilung) nach § 15 WpHG ab. Verletzt eine börsennotierte Aktiengesellschaft ihre Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen, so macht sie sich unter den Voraussetzungen des § 37b WpHG gegenüber Anlegern schadensersatzpflichtig.

Die Vorlagefragen des BGH

Nach § 13 Abs. 1 S. 3 WpHG können zukünftige Umstände eine Insiderinformation darstellen, sofern - neben weiteren Voraussetzungen - mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit" davon ausgegangen werden kann, dass sie eintreten werden.
Erstens, soll vom EuGH die Frage beantwortet werden, ob bei einem zeitlich gestreckten Vorgang mit Zwischenschritten nur das künftige Ereignis an sich als konkrete Information zu verstehen ist, oder auch bereits die Zwischenschritte. Im vorliegenden Fall geht es um das vorzeitige Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden Prof. Schrempp. Es ist somit zu klären, ob hier die Zustimmung des Aufsichtsrates zum vorzeitigen Ausscheiden maßgeblich ist oder bereits Zwischenschritte auf dem Weg zu dieser Entscheidung: wie z.B. die Mitteilung von Überlegungen über ein vorzeitiges Ausscheiden von Prof. Schrempp gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden, die Bereitschaftserklärung des designierten Nachfolgers Dr. Zetsche oder dem Beschluss des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats, dem vorzeitigen Ausschieden von Schrempp zuzustimmen.

Zweitens, soll vom EuGH geklärt werden, welches Maß der Wahrscheinlichkeit für eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit" genügt. Der BGH hat in seiner ersten Entscheidung in diesem Rechtsstreit (Beschluss vom 25.02.2008, II ZB 9/07) entschieden, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit jedenfalls bei einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. einer Eintrittswahrscheinlichkeit von über 50%, besteht. Nun soll der EuGH sich dazu äußern, ob unterhalb/unabhängig von dieser Schwelle von 50% ein offener, aber nicht unwahrscheinlicher Eintritt eines Ereignisses ausreichend sein kann, sofern der relevante Umstand ein hohes Potential zur Kursbeeinflussung besitzt.

Anmerkung

Im Musterverfahren zur Haftung der Daimler AG befasst sich der BGH bereits zum zweiten Mal mit einer Rechtsbeschwerde der Musterkläger. Das „zähe Ringen" um ein Ergebnis in diesem Rechtsstreit macht deutlich, dass im Insiderrecht einige Rechtsfragen ungeklärt sind. Konsequenterweise wird im Wege des Vorlagebeschlusses des BGH nun der EuGH mit zwei Fragen aus diesem Bereich befasst, da diese anhand der Marktmissbrauchs- und Durchführungsrichtlinie der EU zu beantworten sind.

Die Entscheidung des EuGH über den Vorlagebeschluss hat erhebliche Tragweite, da es darum geht, ob Zwischenschritte hin zu künftigen Ereignissen bereits als konkrete Information angesehen werden. Ein Zwischenschritt wäre (im Fall der Kurserheblichkeit) zu veröffentlichen, ganz unabhängig davon, wie wahrscheinlich der Eintritt des künftigen Ereignisses ist. Im Fall Daimler AG wäre dann beispielsweise bereits die Erklärung von Prof. Schrempp, bei Zustimmung des Aufsichtsrates bereit zu sein, zum Ende des Jahres auszuscheiden, ein konkreter Umstand i.S.d. Insiderrechts und - da dieser Umstand wohl geeignet war, den Börsekurs erheblich zu beeinflussen - eine Insiderinformation. In der Praxis würde die AG vor dem Problem stehen, ob sie i) sicherheitshalber Zwischenschritte veröffentlicht (was bei Nichteintritt des künftigen Ereignisses, wie z.B. der Übergabe des Vorstandsvorsitz, in der Öffentlichkeit einen schlechten Eindruck hinterlässt) oder ii) ausnahmsweise von der Ad-hoc-Mitteilungspflicht wegen berechtigter Interessen der AG befreit ist (§ 15 Abs. 3 WpHG); dabei handelt es sich um eine Entscheidung der AG in eigener Verantwortung (sog. „Selbstbefreiung"), die mit erheblichen Unsicherheiten und Haftungsrisiken verbunden ist. Um diese Haftungsrisiken zu vermeiden, ist zu hoffen, dass Zwischenschritte nicht isoliert betrachtet werden, sondern der EuGH sich dafür entscheidet, dass es immer auf die Eintrittswahrscheinlichkeit des letzten Schrittes ankommt.

Dr. Hendrik Thies, Daniel Schillerwein

 

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