Bundestag und Bundesrat billigen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Privilegierung von Kinderlärm

Der Lärm spielender und tobender Kinder erfreut nicht jedermann. So kommt es, dass vor den Gerichten oftmals Klage erhoben wird, wenn ein neuer Spielplatz eingerichtet oder ein Kindergarten gebaut werden soll. Auch im privaten Bereich - gerade in Mietverhältnissen - wenden sich Kläger gegen den Lärm von Kindern.

Rechtslage bisher kinderfreundlich - mit „Ausreißern"

Das Bundesverwaltungsgericht hatte 1991 über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Spielplatzes zu entscheiden gehabt. In der Entscheidung heißt es u.a., dass ein Kinderspielplatz eine für eine altersgemäße Entwicklung eines Kindes wünschenswerte, wenn nicht gar erforderliche Einrichtung sei. Die Nachbarn müssten Beeinträchtigungen, die vom bestimmungsgemäßen Gebrauch des Kinderspielplatzes ausgehen, deshalb hinnehmen (BVerwG, Urteil v. 12.12.1991, Az. 4 C 5/88).

Auch die Entscheidungen der Zivilgerichtsbarkeit fielen zumeist zugunsten von Kindern aus. So hat z.B. das AG Frankfurt entschieden, dass die von einem Spielplatz in einer Wohnsiedlung ausgehenden Geräusche spielender Kinder als sozialadäquat hinzunehmen seien und eine Mietminderung nicht rechtfertigten (AG Frankfurt, Urteil v. 13.03.2009, Az. 33 C 2368/08).

Aber auch wenn sich das höchste deutsche Verwaltungsgericht und viele Zivilgerichte in ihrer Rechtsprechung als sehr kinderfreundlich zeigen, gab es in der Vergangenheit immer wieder Gerichtsentscheidungen, die zu Lasten der Kinder ausfielen. So hat das VG Trier Klägern gegen eine große Spielanlage Recht gegeben (Urteil v. 07.07.2010, Az. 5 K 47/10.TR), und das AG Schöneberg das Spielen von Kindern mit luftgefüllten Bällen und die Benutzung von anderen lärmverursachenden Spielgeräten auf dem Hof für unzumutbar gehalten (Urteil v. 19.07.1995, Az. 6 C 343/94). Im Jahr 2005 entschied ein Gericht in Hamburg, dass die Kindertagesstätte „Marienkäfer" umziehen müsse, weil sie zu laut sei. Nach dem Umzug musste der „Marienkäfer" dann wegen des Protests der neuen Nachbarn eine Lärmschutzwand errichten.

Gesetzeslage bisher

Woher rührt die uneinheitliche Rechtsprechung. Aus Sicht des Immissionsschutzrechtes sind Kindergärten oder Spielplätze „nicht genehmigungsbedürftige Anlagen" nach § 22 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG). Als solche müssen sie Anforderungen zum Lärmschutz einhalten. Von ihnen dürfen keine „schädlichen Umwelteinwirkungen" ausgehen, zu denen auch „erhebliche Belästigungen" gehören. Belästigungen werden dann als „erheblich" angesehen, wenn sie einen Grad erreichen, der den Nachbarn der Einrichtung nicht mehr zuzumuten ist.

Diese Formulierung ist sehr offen - was zur Folge hatte, dass manche Klagen gegen Kinderlärm vor den Verwaltungsgerichten auch Erfolg hatten. Zwar gibt es zur Ausfüllung von Rechtsbegriffen wie „erheblicher Belästigungen" Regelwerke, die für bestimmte Lebensbereiche die zulässigen Schallgrenzen detailliert festlegen. Ein Beispiel hierfür stellt die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - kurz TA Lärm - dar. Sie regelt z.B. den Lärmpegel, den größere Betriebe verursachen dürfen. Allerdings wurden ihre Grenzwerte oftmals auch für den Lärm herangezogen, den Kindergärten und -tagesstätten verursachen dürfen, obwohl die Regelung gar nicht auf Kinder als Geräuschquellen zugeschnitten ist. Damit wurden die Geräusche, die spielende Kinder verursachen, aber dem Lärm gleichgestellt, den Industrieanlagen verursachen.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Um Klagen wegen Kinderlärms künftig den Boden zu entziehen, hat die Bundesregierung daher einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der mittlerweile auch von Bundesrat und Bundestag angenommen und beschlossen worden ist.

Nach diesem „Zehnten Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes" wird in § 22 BImSchG ein neuer Absatz 1a eingefügt. Dieser bestimmt, dass Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen sind. Außerdem dürfen bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.

Die Regelung wird am Tag nach ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt inkrafttreten.

Folgen für die Praxis

§ 22 Abs. 1a BImSchG gilt für von Kindern verursachtem Lärm, der von Spielplätzen, Kindergärten oder ähnlichen Bereichen auf die Nachbarschaft einwirkt. Kind ist der Gesetzesbegründung nach jeder, der noch nicht 14 Jahre alt ist (BT-Drs. 17/4836, S. 6). Die Privilegierung erstreckt sich dabei auf alle Geräuscheinwirkungen durch kindliche Laute wie Singen, Weinen, Rufen oder auch Kreischen. Außerdem werden auch Geräuscheinwirkungen durch körperliche Aktivitäten wie Spielen, Rennen und Tanzen geschützt, selbst wenn die eigentliche Geräuschquelle in kindgerechten Spielzeugen, Bällen oder Spielgeräten liegt (BT-Drs. 17/4836, S. 6).

Die Vorschrift wirkt aber nicht nur unmittelbar im Immissionsschutzrecht. Sie strahlt auch auf weitere Rechtsgebiete aus:

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll sie ebenfalls im Privatrecht Auswirkungen haben. Im Nachbarschaftsrecht kann der Eigentümer eines Grundstücks nach § 906 Abs. 1 S. 1 BGB verlangen, dass z.B. Geräusche nicht übermäßig auf sein Grundstück einwirken. Die Privilegierung soll nun auch dahingehend eine Ausstrahlungswirkung haben, dass auch die Zivilgerichte in Zukunft davon ausgehen, dass von Kindereinrichtungen ausgehende Geräusche im Regelfall keine wesentliche Beeinträchtigung darstellen (vgl. BT-Drs. 17/4836, S. 5).
Auch im Bauplanungsrecht wird § 22 Abs. 1a BImSchG seinen Niederschlag finden. So beeinflusst er in Zukunft die Anwendung des allgemeinen Rücksichtnahmegebotes, das u.a. in § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO niedergelegt ist (so der Gesetzgeber, BT-Drs. 17/4836, S. 5). Flankiert soll diese Ausstrahlungswirkung noch durch eine Reform des Bauplanungsrechts werden. Diese Reform soll u.a. beinhalten, dass auch in reinen Wohngebieten künftig Anlagen zur Kinderbetreuung in einem angemessenen Umfang errichtet werden dürfen (BT-Drs. 17/4836, S. 5). Insoweit wirft diese Änderung schon ihren Schatten voraus. Sind erst einmal beide Normen Gesetz, dürften Klagen der Nachbarschaft gegen Kindertagesstätten wegen Lärms kein Erfolg mehr beschieden sein.

Allerdings lässt die Vorschrift in Ausnahmefällen weiterhin Abwehransprüche zu. Solche Sonderfälle liegen z.B. dann vor, wenn die Kindereinrichtungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu sensiblen Nutzungen wie Krankenhäusern und Pflegeanstalten gelegen sind oder sich die Einrichtungen nach Art und Größe sowie Ausstattung in Wohngebiete und die vorhandene Bebauung nicht einfügen (BT-Drs. 17/4836, S. 7).

Die Regelung gilt zudem nur für von Kindern erzeugte Geräusche. Der Lärm, den Jugendliche z.B. auf Bolzplätzen verursachen, wird nicht durch die neue Vorschrift privilegiert. Insofern verbleibt es bei den allgemeinen Regelungen und den Möglichkeiten, sich ggf. zur Wehr zu setzen. So wird die Gerichte sicher bald die Frage beschäftigen, was gilt, wenn Kinder bis 14 und Jugendliche ab 14 gemeinsam Lärm machen und dies mit einem Ball, der der kleinen Maxime, 7 Jahre, gehört. Ruhe vor den Gerichten wird also nicht zwingend einkehren.

Dr. Volker Stehlin, Peter Metzger

 

Kontakt > mehr