Soeben hat eine von der EU-Kommission eingesetzte Expertengruppe eine „Feasibility Study" zu einem Europäischen Vertragsrecht vorgelegt. Damit hat die Justiz-Kommissarin Viviane Reding ihr erstes politisches Ziel erreicht; und das zweite steht an: Im Herbst, so verlautet aus Brüssel, wird die Kommission selbst einen Entwurf vorlegen, um ihn dann in die parlamentarischen Beratungen einzuführen.

Sicherlich, noch ist es ein wenig früh, im Einzelnen sagen zu wollen, wie denn letztlich der Entwurf der Kommission aussehen wird. Da aber bis zum Herbst nicht mehr viel Zeit bleibt, liegt es nahe, dass dieser Vorschlag sich nicht wesentlich von den Ergebnissen unterscheiden wird, welche in der „Feasibility Study" nieder gelegt worden sind. Daher ist es wichtig, sich schon jetzt mit etwaigen Neuerungen vertraut zu machen, weil einige Grundüberlegungen kaum noch geändert werden dürften.

Der Entwurf ist nicht nur ein reines Verbraucherschutzsystem, sondern er erfasst auch den gesamten unternehmerischen Verkehr. Also in deutschen Begriffen: b2c und b2b. Auch wird er sich nicht auf den transnationalen Bereich beschränken, sondern auch den nationalen einschließen. Im einen wie im anderen Fall wird es um das Kaufrecht gehen. Doch im Gegensatz zur bereits seit langem, umgesetzten Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie der EU wird dieses Mal auch der gesamte Allgemeine Teil des Vertragsrechts eine Regelung erfahren (also Vertragsabschluss, Auslegung, Nichtigkeitsgründe etc.).

Was ist für die Praxis neu? Unter dem Vorbehalt, dass noch nichts endgültig entschieden ist und dass insbesondere noch die hohe Hürde des Ministerrates in Brüssel genommen werden muss, sollen folgende Gesichtspunkte in den Vordergrund gerückt werden:

Im Rahmen des Verbraucherrechts wird nach wie vor das Bild einer Asymmetrie zwischen den Informationen herausgestellt, die dem Unternehmer und die dem Verbraucher bei einem Vertragsabschluss zugänglich sind. Das heißt: Die Flut an vorvertraglichen Informationspflichten, wie wir sie schon aus verschiedenen EU-Richtlinie kennen, wird auch das Europäische Vertragsrecht beherrschen. Man mag mit guten Gründen die Frage stellen, ob solche Informationen überhaupt vom Verbraucher zur Kenntnis genommen werden. Man mag mit noch größerem Recht die Frage stellen, ob sie denn wirklich dem Verbraucher dazu verhelfen, eine eigenverantwortliche Entscheidung vor Abschluss eines Vertrages zu treffen. All diese Fragen werden jedoch das Grundkonzept nicht mehr ändern. Das im Lissabon-Vertrag eingeforderte hohe Niveau des Verbraucherschutzes fordert seinen Tribut. Es gibt auf diesem Weg wohl keine sinnvolle Alternative.

Von weit reichender praktischer Bedeutung ist der Vorschlag, dass auch künftig der ausgehandelte Individualvertrag gegenüber dem Verbraucher der richterlichen Inhaltskontrolle unterworfen sein wird (Art. 81). Denn es ist beabsichtigt, dass die Gerichte immer dann - gleichgültig, ob AGB formuliert sind oder ein ausgehandelter Individualvertrag zugrunde liegt - kontrollierend eingreifen können und auch sollen, wenn denn die Vertragsbestimmungen dem allgemeinen Test der Fairness gegenüber dem Verbraucher nicht genügen. Das mag man als Verlust an Vertragsfreiheit werten und auch den Verlust an Liberalität beklagen. Ändern wird man dieses Konzept wohl nur, wenn man - und dies im europäischen Kontext - die Frage gründlich klärt, wie denn Verbraucherschutz und Vertragsfreiheit in einer vernetzten Welt miteinander künftig ins Gleichgewicht zu bringen sind.

Für den Unternehmer ist es wichtig zu wissen, dass vieles dafür sprechen wird, die vom Verschulden (Fahrlässigkeit) abhängige Haftung auf Schadensersatz von den Fesseln des Verschuldens zu lösen. Vorbehaltlich von Fällen der höheren Gewalt (grob gesprochen) wird dann eben immer auf Ersatz des zugefügten Schadens gehaftet. Dies ist die Position zahlreicher moderner Rechte. Doch es wird einiger Debatten in Deutschland bedürfen, um für die Praxis herauszuschälen (was wissenschaftlich erwiesen scheint), dass der tatsächliche Unterschied zwischen einer verschuldensabhängigen und einer strikten Haftung vernachlässigenswert ist.

Im Rahmen der zu führenden Debatte wird man aber auch berücksichtigen müssen, dass das neue Europäische Vertragsrecht als 28. Regime eingeführt werden soll. Es ist als optionales Instrument konzipiert. Wer hier die Wahl hat und unter welchen Voraussetzungen sie tatsächlich ausgeübt werden kann, das ist noch eine offene Frage. Sie wird in der „Feasibility Study" nicht beantwortet. Wählt man das Modell des „opt-in" besteht die Gefahr, dass das Europäische Vertragsrecht kaum angewandt werden wird. Bei der Alternative des „opt-out" sind jedenfalls die Fälle dann erfasst, bei denen die Parteien - wie beim UN-Kaufrecht - vergessen haben, es auch tatsächlich auszuschließen. Und wenn man dann noch berücksichtigt, dass der Verbraucher auch zu seinem Recht kommen muss, wird es schwierig eine belastbare Voraussage zu treffen, wie denn die „Option" letztlich gestaltet werden wird.

Doch dabei ist eines sicher: Der Schutz vor unangemessenen AGB im unternehmerischen Verkehr wird - im Vergleich zum gegenwärtigen Zustand in Deutschland - erheblich zurück genommen. Nur dann, wenn die einzelne Vertragsbestimmung gröblich gegen die Gebote der Fairness verstößt, soll die Sanktionsfolge der richterlichen Inhaltskontrolle zum Nachteil eines Unternehmers eingreifen. Das öffnet der Vertragsgestaltungsfreiheit im unternehmerischen Bereich wieder Tore, die hierzulande seit fast 50 Jahren versperrt worden sind. Daraus folgt aber: Je deutlicher sich die deutschen Unternehmer für diesen Ansatz der richterlichen Inhaltskontrolle im Europäischen Vertragsrecht aussprechen, umso weniger besteht Anlass, sich auf eine Reform des AGB-Rechts zu konzentrieren. Beides zusammen geht politisch nicht.

Denn bei Umsetzung des Europäischen Vertragsrechts haben die Unternehmen eine wirkliche Alternative: Sie können sich für das sehr restriktive deutsche - nationale - AGB-Recht entscheiden. Sie können sich aber auch für das liberale Konzept entscheiden, welches das Europäische Vertragsrecht eines, wie zu hoffen steht, baldigen Tages bereit hält. Doch bis dahin soll und muss die Debatte über Inhalt und Struktur eines Europäischen Vertragsrechts unverdrossen, aber auch mit Phantasie geführt werden. Denn es geht um die Gestalt einer Rechtsordnung, wie wir sie mit Blick auf die Zukunft für unsere Kinder und Enkel in Europa wollen.

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen

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