Neues Sozialversicherungsrecht in China - Am 15. Oktober 2011 tritt die Sozialversicherungspflicht von Ausländern in Kraft

Im Freiburger Büro unserer Sozietät fand am 21. September 2011 ein Business Lunch zum Thema HR in China statt. Rainer Burkardt, unser Kooperationspartner in Shanghai, berichtete über aktuelle Entwicklungen aus dem Personalbereich in China. Im Mittelpunkt stand das neue Sozialversicherungsrecht, das alle deutschen Unternehmen tangiert, die Mitarbeiter nach China entsandt haben. Künftig sind Ausländer, die in China arbeiten, sozialversicherungspflichtig. Am 6. September 2011 hat das Ministerium für Personalwesen und Soziale Sicherheit der Volksrepublik China („VRC") die „Vorläufigen Maßnahmen zur Teilnahme von in der VRC beschäftigten Ausländern an der Sozialversicherung" („Vorläufigen Maßnahmen") erlassen. Die Vorläufigen Maßnahmen werden am 15. Oktober 2011 in Kraft treten.

I. Teilnahmepflicht für Ausländer

Mit dem Erlass der Vorläufigen Maßnahmen wurden letzte Zweifel an einer Teilnahmepflicht von Ausländern am Sozialversicherungssystem der VRC beseitigt. Die Teilnahmepflicht gilt für alle Ausländer die sich auf Grundlage von Arbeitserlaubnis, ausländischer Expertenerlaubnis, Dauerpressekarte für Ausländer oder dauerhafter Aufenthaltserlaubnis in der VRC aufhalten. Ausdrücklich sind sowohl in die VRC entsandte als auch lokal angestellte ausländische Arbeitnehmer erfasst. Ab dem 15. Oktober müssen diese durch ihre Arbeitgeber in allen Bereichen der chinesischen Sozialversicherung versichert werden, das heißt in der Basisrenten-, Basiskranken-, Arbeitslosen-, Arbeitsunfall- und Mutterschaftsversicherung.

Leider lassen die Vorläufigen Maßnahmen auch jetzt noch zahlreiche Fragen offen, insbesondere was die tatsächliche Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialversicherung durch Ausländer angeht. Beispielsweise ist noch völlig ungeklärt, wie Arbeitslosenunterstützung in Anspruch genommen werden soll. Grundsätzlich führt die Beendigung des Arbeitsvertrages mit einem ausländischen Arbeitnehmer zum Erlöschen der Arbeits- und damit letztlich der Aufenthaltserlaubnis in China. Nach dem Sozialversicherungsgesetz soll die Arbeitslosenunterstützung nicht unter den regionalen Standards zur Sicherung des Mindestlebensunterhalts liegen. Dieser liegt in Schanghai bei ungefähr 60 EUR pro Monat. Damit ist ein Bezug von Arbeitslosenunterstützung für Ausländer unter dem Gesichtspunkt der zu erwartenden Leistungen wenig interessant. Anders könnte dies sein, wenn damit ein Bleiberecht bis zum Ablauf der ein- bis zweijährigen Bezugsdauer verbunden würde.

In einigen Regionen Chinas wurde die Teilnahmepflicht bereits nach Inkrafttreten des Sozialversicherungsgesetzes am 1. Juli 2011 durch lokale Vorschriften umgesetzt. Es ist damit zu rechnen, dass auch in den anderen Regionen entsprechende Vorschriften erlassen werden, die möglicherweise einige der noch ungeklärten Fragen adressieren.

II. Strikte Durchsetzung der Teilnahmepflicht

Die Vorläufigen Maßnahmen lassen eine strikte und schnelle Durchsetzung der Teilnahmepflicht vermuten. So ist der Arbeitgeber - bei entsandten Arbeitnehmern die Arbeitsstelle in der VRC - verpflichtet, innerhalb von 30 Tagen nachdem der ausländische Arbeitnehmer seine Arbeitserlaubnis erhalten hat, selbigen bei den Sozialversicherungsbehörden anzumelden. Gemäß den Vorläufigen Maßnahmen sind die die Arbeitserlaubnis ausstellenden Behörden verpflichtet, die zuständigen Sozialversicherungsbehörden über in China arbeitende Ausländer zu informieren. Damit besteht ein relativ großes Risiko der Aufdeckung von Verstößen gegen die Anmeldepflicht.

Verstöße können mit Nachzahlungspflichten und Geldbußen geahndet werden. Beachtet werden sollte darüberhinaus, dass Verstöße gegen die Sozialversicherungspflicht mittlerweile eine Straftat begründen können. Die Gefahr der Strafverfolgung betrifft in erster Linie die gesetzlichen Repräsentanten und unmittelbar handelnden Verantwortlichen der Unternehmen. Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verfolgung sollten diese deshalb die rechtskonforme Teilnahme in ihrem Unternehmen sicherstellen.

Die Vorläufigen Maßnahmen enthalten keine Frist, innerhalb derer solche ausländischen Arbeitnehmer angemeldet werden müssen, die bereits vor dem 15. Oktober 2011 ihre Arbeitserlaubnis erhalten haben. Die lokalen Behörden in Schanghai, Peking und Suzhou konnten auf unsere Nachfrage noch keine entsprechenden Auskünfte geben. Deshalb ist es momentan empfehlenswert, eine entsprechende Anmeldung für den 15. Oktober 2011 vorzubereiten, um jegliche Haftungsrisiken auszuschließen.

III. Zahlungspflichtige

Zur Zahlung der Beiträge sind grundsätzlich der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer verpflichtet. Bei einem Entsendeverhältnis tritt allerdings die Arbeitsstelle des Arbeitnehmers in China an die Stelle des sich im Ausland befindlichen Arbeitgebers und muss die Arbeitgeberbeiträge für den Arbeitnehmer abführen.

IV. Besondere Bestimmungen zur Rentenversicherung

Insbesondere zur Rentenversicherung enthalten die Vorläufigen Maßnahmen spezielle Bestimmungen. Verlässt ein ausländischer Arbeitnehmer die VRC vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters so gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Entweder ruht sein Sozialversicherungsverhältnis bis er zu einem späteren Zeitpunkt wieder ein Arbeitsverhältnis in der VRC aufnimmt. In dem Fall werden die zukünftigen Beiträge und Beitragszeiten zu den in der Vergangenheit erbrachten hinzugerechnet. Alternativ kann schriftlich die Beendigung des Rentenversicherungsverhältnisses in der VRC beantragt werden. Das hat die Auszahlung der vom Arbeitnehmer auf sein individuelles Rentenkonto geleisteten Beiträge zur Folge. Die Arbeitgeberbeiträge, die regelmäßig den wesentlich größeren Betrag bilden, verbleiben in jedem Fall im allgemeinen Rentenfonds.

Der Rentenbezug soll interessanterweise auch vom Ausland aus möglich sein. Voraussetzung hierfür ist ein mindestens jährlich zu erbringender „Lebensnachweis", der entweder schriftlich vom Ausland oder durch Vorsprechen bei den chinesischen Behörden in China erbracht werden kann.

Verstirbt ein Arbeitnehmer, so wird der auf seinem individuellen Rentenkonto befindliche Betrag gemäß dem Recht der VRC vererbt. Die Vorläufigen Maßnahmen treffen keine Unterscheidung danach, ob dies nur vor Eintritt in das Rentenalter oder auch danach gilt. Die chinesische Rechtswissenschaft geht allerdings davon aus, dass der Betrag auf dem individuellen Rentenkonto das Eigentum des jeweiligen Arbeitnehmers ist. Dementsprechend kann es keine Rolle spielen, ob der Arbeitnehmer vor oder nach Eintritt in das Rentenalter verstirbt. Das Gleiche muss auch für Fälle gelten, in denen der Arbeitnehmer noch nicht die Mindestbeitragsdauer von 15 Jahren erreicht hat.

V. Bilaterale Sozialversicherungsabkommen

Die einzige Möglichkeit zur Vermeidung einer Sozialversicherungspflicht in der VRC ist die Berufung auf ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen. Gegenwärtig haben lediglich Südkorea und Deutschland derartige Abkommen mit der VRC geschlossen. Bei einer Berufung auf diese Abkommen wird allerdings nur die Teilnahme an der Basisrenten- und Arbeitslosenversicherung in der VRC ausgeschlossen. Dementsprechend kann es in allen anderen Sozialversicherungsbereichen zur Doppelversicherung kommen.

1. Anwendung des deutsch-chinesischen Abkommens

Von deutschen Unternehmen nach China entsandte Arbeitnehmer können sich für maximal 4 Jahre auf das bereits 2011 geschlossene deutsch-chinesische Sozialversicherungsabkommen berufen. Dabei sind aber die strikten Anforderungen des deutschen Sozialgesetzbuches an eine Entsendung zu beachten.

Daneben oder im Anschluss an eine Entsendung besteht die Möglichkeit, für maximal 5 Jahre und in begründeten Ausnahmefällen für weitere 3 Jahre, den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung zu beantragen. Diese wird zwischen den zuständigen Sozialversicherungsträgern Deutschlands und der VRC geschlossen, gegenwärtig ist dies in Deutschland der GKV-Spitzenverband DVKA und in China das Ministerium für Personalwesen und Soziale Sicherheit.

Voraussetzung für einen Abschluss von deutscher Seite ist eine von vorneherein befristete Tätigkeit in China sowie eine fortbestehende arbeitsrechtliche Bindung an Deutschland. Letztere wird vom GKV-Spitzenverband DVKA in Deutschland auch bei einem zwischen Arbeitnehmer und deutschem Arbeitgeber ruhenden Arbeitsverhältnis bejaht, wenn der Arbeitnehmer mit einem lokalen Arbeitsvertrag in China beschäftigt wird. Dies setzt allerdings voraus, dass (1) weiterhin Berichtspflichten gegenüber dem deutschen Arbeitgeber bestehen, (2) die betriebliche Altersvorsorge bei demselben fortgeführt wird und (3) das Arbeitsverhältnis mit der deutschen Gesellschaft mit der Rückkehr des Arbeitnehmers nach Deutschland wieder vollständig auflebt.

Auch für vorübergehend in der VRC tätige Selbständige besteht grundsätzlich die Möglichkeit zur Berufung auf das deutsch-chinesische Sozialversicherungsabkommen. Vor einer entsprechenden Antragstellung sollten Selbständige berücksichtigen, dass der Abschluss einer Ausnahmevereinbarung zur Teilnahme an allen Sozialversicherungsbereichen in Deutschland führt.

2. Staatsbürgerschaft

Die Vorläufigen Maßnahmen setzen für eine Berufung auf ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen voraus, dass der betroffene Arbeitnehmer die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Abkommensstaates hat. Demgegenüber stellt das deutsch-chinesische Sozialversicherungsabkommen alleine darauf ab, in welchem Staat der betroffene Arbeitnehmer grundsätzlich beschäftigt und damit sozialversichert ist. Ziel des Abkommens ist die fortlaufende Teilnahme an der Renten- und Arbeitslosenversicherung in dem Land, in das der Arbeitnehmer nach seiner Auslandstätigkeit wieder zurückkehren wird. Der Verweis auf die Staatsbürgerschaft in den Vorläufigen Maßnahmen widerspricht damit klar dem Wortlaut und Sinn des Abkommens.

Ob zumindest in der Praxis oder aufgrund lokaler Durchführungsvorschriften auch Nicht-Deutschen eine Berufung auf das deutsch-chinesische Abkommen möglich ist, vorausgesetzt, die deutschen Sozialversicherungsträger bestätigen eine fortbestehende Sozialversicherungspflicht in Deutschland, bleibt abzuwarten. Die Sozialversicherungsbehörde in Peking vertritt jedenfalls die Ansicht, dass sich auch Nicht-Deutsche auf das Abkommen berufen können.

Nils Seibert, Rechtsanwalt bei unserem Kooperationspartner Burkardt, Böhland & Partner / EunaCon Group, Shanghai, Dr. Barbara Mayer

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