

Verdachtskündigung wegen angeblicher Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit
In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung. Später bekannt gewordene Umstände, die bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen und den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken, können ebenfalls berücksichtigt werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht Köln mit seinem Urteil vom 30.07.2025 – 6 SLa 540/24 – entschieden.
Sachverhalt
Dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln (LAG) liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, der seit 2014 als Kommissionierer bei der Beklagten beschäftigt ist, bat am 14.08.2023 seinen Vorgesetzten um die Bewilligung eines früheren Feierabends. Nachdem dieser den Wunsch des Klägers unter Hinweis auf vorhandene Minusstunden im Arbeitszeitkonto abgelehnt und den Betrieb verlassen hatte, meldete sich der Kläger bei dem stellvertretenden Gruppenleiter als arbeitsunfähig ab.
In der Folgezeit versuchte die Beklagte mit dem Kläger ein Anhörungsgespräch zur Sachverhaltsaufklärung zu vereinbaren, jedoch scheiterte dies an dem Wunsch des Klägers, ein bestimmtes Betriebsratsmitglied möge bei dem Gespräch zugegen sein. Als der Kläger erfuhr, dass die Beklagte ein Gespräch ohne das besagte – und ständig terminlich verhinderte – Betriebsratsmitglied durchführe wollte, meldete er sich krank und verließ den Betrieb. Kurz nach Schichtbeginn am 14.09.2023 meldete sich der Kläger telefonisch für den 14.09.2023 und den 15.09.2023 arbeitsunfähig.
Daraufhin sprach die Beklagte mit Schreiben vom 02.10.2023 eine fristlose, hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung aus. Dies geschah mit der Begründung, es bestehe ein dringender Verdacht, dass der Kläger an zwei Tagen, nämlich dem 14.08.2023 und dem 14.09.2023 nicht nur unentschuldigt gefehlt, sondern auch eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und damit Entgeltfortzahlung erschlichen habe, mithin einen Betrug begangen habe.
Der hiergegen vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht stattgegeben. Die Berufung der Beklagten vor dem LAG blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Nach Auffassung des LAG haben im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung keine objektiven Tatsachen vorgelegen, die den dringenden Verdacht hätten begründen können, der Kläger habe an den zwei streitgegenständlichen Tagen eine Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht, denn der Kläger sei an den beiden Tagen tatsächlich arbeitsunfähig gewesen.
In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung seien nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung. Es seien auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen (zumindest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen), die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken (BAG, Urteil vom 23.05.2013 – 2 AZR 102/12). Bei dem Verdacht, der Kläger habe eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht, sei dies zum Beispiel, dass tatsächlich Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe.
Vorliegend habe die Beweisaufnahme ergeben, dass nämlich der Kläger an den beiden fraglichen Tagen tatsächlich arbeitsunfähig gewesen sei. Denn die als Zeugin vernommene Ärztin habe gradlinig und professionell mit Hilfe von damals erstellten Unterlagen ihre Arbeit mit einem Patienten beschrieben und sich sehr differenziert geäußert. Darauf, dass die Ärztin ein Gefälligkeitsattest ausgestellt habe oder unprofessionell gehandelt habe, gebe es keine Hinweise.
Hinweise für die Praxis
Nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung kann kündigungsrelevant sein, wenn dadurch das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien nachhaltig gestört wird. Die Kündigung wegen Verdachts stellt daher neben der Kündigung wegen der Tat einen eigenständigen Tatbestand dar (BAG, Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 474/07).
Der Verdacht muss ferner dringend sein, d.h. es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Der ursprüngliche Verdacht kann durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden.
Nach der Rechtsprechung des BAG können selbst solche Tatsachen in den Prozess eingeführt werden, die den Verdacht eines eigenständigen – neuen – Kündigungsvorwurfs begründen. Voraussetzung ist, dass der neue Kündigungsgrund bei Ausspruch der Kündigung objektiv bereits vorlag, dem Arbeitgeber aber nur noch nicht bekannt war (BAG, Urteil vom 23.05.2013 – 2 AZR 102/12).
6. Oktober 2025





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