felix haeringer arbeitsrecht webp.jpg

Tarifvertragliche Jahressonderzahlung: zulässige Stichtagsregelung

Eine tarifvertragliche Regelung, nach der Mitarbeiter mit dem Novembergehalt eine Jahressonderzahlung erhalten, kann als Stichtagsregelung zu verstehen sein, mit der Konsequenz, dass bereits zuvor ausgetretene Arbeitnehmer nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören. Das hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 28.01.2025 – 5 SLa 115/24) entschieden.

Sachverhalt

Dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Zwischen den Parteien ist streitig, ob im Austrittsjahr eine anteilige Jahressonderzahlung zu gewähren ist. Die Beklagte betreibt ein Eisenbahninstandhaltungswerk. Der Kläger war zuletzt als Messschlosser bzw. Mitarbeiter für zerstörungsfreie Prüfungen (ZFP) bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer der C. (OMB) vom 03.08.2023, rückwirkend in Kraft getreten zum 01.07.2022, Anwendung. In § 15 des MTV ist folgendes geregelt:

„(…)

§ 15

Jahressonderzahlung

Die Mitarbeiter erhalten mit dem Novemberentgelt eine Jahressonderzahlung in Höhe von 100% des Bruttomonatstabellenentgelts. Im Jahr des Eintritts wird die Jahressonderzahlung zeitanteilig entsprechend für jeden vollen Beschäftigungsmonat zu 1/12 gezahlt.

(…)“

Aufgrund einer Kündigung des Klägers endete das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 31.08.2023. Die monatliche Bruttogrundvergütung lag zuletzt bei EUR 2.575,05.

Der Kläger war der Ansicht, er könne die volle Jahressonderzahlung für 2023, jedenfalls aber 8/12, beanspruchen. § 15 MTV beinhalte lediglich eine Fälligkeitsregelung. Die Jahressonderzahlung diene nicht bloß dazu, Betriebstreue zu honorieren, sondern stelle auch Entgelt für die erbrachte Arbeitsleistung dar.

Die Beklagte gewährte dem Kläger keine Jahressonderzahlung und vertrat die Auffassung, dass der Anspruch nicht bestehe, da das Arbeitsverhältnis bereits im August sein Ende gefunden habe.

Das erstinstanzlich zuständige Arbeitsgericht hat die Klage des Klägers abgewiesen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts wurde zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Das Arbeitsgericht habe die Klage zu Recht und mit der zutreffenden Begründung abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2023 aus § 15 des kraft beiderseitiger Tarifbindung anwendbaren MTV.

Sind Sonderzuwendungen nur für Zeiten zu zahlen, in denen ein Vergütungsanspruch besteht, zeige dies, dass es sich um Vergütung für geleistete Arbeit handele. Setzt die Zahlung einer Sonderzuwendung den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag voraus, diene diese auch dazu, die Betriebstreue in dem zu Wende gehenden Jahr zu honorieren. Zudem solle die Jahressonderzahlung die Arbeitnehmer auch künftig zu reger und engagierter Mitarbeit motivieren.

Tarifvertragliche Stichtagsregelungen seien grundsätzlich zulässig. Die Differenzierung zwischen Arbeitnehmern, die vor dem Stichtag ausschieden, und solchen, deren Arbeitsverhältnis am Stichtag noch bestanden habe, verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die unterschiedliche Behandlung sei sachlich gerechtfertigt, sofern die Jahressonderzahlung auch den Zweck verfolge, Betriebstreue zu belohnen und die Arbeitnehmer für die Zukunft zu reger und engagierter Mitarbeit zu motivieren. Bei bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern könne die Jahressonderzahlung diesen Zweck nicht mehr erfüllen.

Nach § 15 Satz 1 MTV erhielten Mitarbeiter mit dem Novemberentgelt eine Jahressonderzahlung in Höhe von 100% des Bruttomonatstabellenentgelts. Die Formulierung „… erhalten mit dem Novemberentgelt …“ setze begrifflich voraus, dass der Mitarbeiter ein Entgelt für den Monat November erhalte, was wiederum ein bestehendes Arbeitsverhältnis, zumindest an einem Novembertag, voraussetze. Die Tarifvertragsparteien hätten damit nicht nur die Fälligkeit des Anspruchs geregelt, sondern auch eine Bedingung für den Anspruch festgelegt. Für eine bloße Fälligkeitsregelung hätte die allgemein übliche Angabe eines konkreten Datums, z. B. „spätestens am 30.11.“, oder einer Zeitspanne, z. B. „im November eines jeden Jahres“, genügt. Die Tarifvertragsparteien hätten sich jedoch nicht auf die Angabe eines Datums oder Zahlungszeitraums beschränkt, sondern auf den Erhalt einer Entgeltzahlung für November Bezug genommen.

Für das Austrittsjahr hätten die Tarifvertragsparteien keine Regelung getroffen, insbesondere keine Quotelung entsprechend dem Eintrittsjahr vorgesehen. Sie hätten erkennbar nicht die Absicht gehabt, den im Laufe des Jahres – gegebenenfalls bereits im Januar – ausgeschiedenen Arbeitnehmern eine anteilige Jahressonderzahlung zukommen zu lassen. Schon gar nicht hätten ausgeschiedene Arbeitnehmer eine volle Jahressonderzahlung erhalten sollen und damit besser behandelt werden dürfen als neu hinzugekommene Arbeitnehmer bzw. gleichbehandelt mit ganzjährig beschäftigten Arbeitnehmern. Die Auslegung des § 15 Satz 1 MTV im Sinne einer Stichtagsregelung vermeide derartige Widersprüche. Die Zuerkennung einer Sonderzuwendung im Austrittsjahr in voller Höhe könnte sogar dazu führen, dass ein Arbeitnehmer in diesem Jahr mehr als 100 % des Monatsbruttogehalts erhalte, sofern bei der neuen Arbeitgeberin eine vergleichbare Regelung zum Eintrittsjahr gelte. Für einen derartigen Willen der Tarifvertragsparteien fänden sich keine Anhaltspunkte. Für eine Auslegung als Stichtagsregelung würden ebenfalls Gründe der Praktikabilität sprechen.

Hinweis für die Praxis

Das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. Die Entscheidung unterstreicht zum einen die Bedeutung einer zutreffenden Auslegung tarifvertraglicher Regelungen, und bestätigt zum anderen die grundsätzliche Zulässigkeit tariflicher Stichtagsregelungen. Stichtagsklauseln, die den Anspruch auf eine tarifvertragliche Sonderzahlung an den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am Ende des Bezugszeitraumes knüpfen, sind mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar.

In der arbeitsrechtlichen Praxis ist es unerlässlich, zwischen der tarifvertraglichen und der arbeitsvertraglichen Ebene klar zu unterscheiden. In Formulararbeitsverträgen sind Stichtagsregelungen grundsätzlich zulässig, sofern die Sonderzahlung ausschließlich der Honorierung von Betriebstreue dient.

Kontakt > mehr