
Sozialversicherungspflicht von Lehrern und Dozenten immer einzelfallabhängig
Ob Lehrende sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig. Es gibt keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre. Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts unter Aufhebung der gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen entschieden (Aktenzeichen B 12 BA 3/23 R).
Sachverhalt
Der Entscheidung des Bundessozialgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die klagende Volkshochschule bietet unter anderem Kurse zur Vorbereitung auf die Erlangung eines Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg an. Der beigeladene Student vereinbarte mit ihr die Erteilung von Unterricht im Rahmen solcher Kurse in Recht und Politik. Nach den Vertragsbedingungen der Klägerin war ein Weisungsrecht ausgeschlossen. Die Klägerin stellte die Unterrichtsräume zur Verfügung und stimmte die Unterrichtseinheiten zeitlich mit dem Beigeladenen und den anderen Dozenten ab. Den Unterricht gestaltete der Beigeladene selbstständig. Er übermittelte regelmäßig eine Leistungseinschätzung für die einzelnen Schüler an die Fachbereichsleitung, die diese in einer Art Zwischenzeugnis von allen Lehrenden zusammenstellte.
Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund stellte Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung fest. Das Sozialgericht hat die Bescheide aufgehoben. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Für die Zeit vor Juni 2022 habe es eine maßgebliche höchstrichterliche “Sonderrechtsprechung“ gegeben, nach der lehrende Tätigkeiten grundsätzlich als selbstständige Tätigkeiten zu beurteilen gewesen seien (insbesondere Urteil vom 12. Februar 2004, Aktenzeichen B 12 KR 26/02 R). Erst durch das Urteil vom 28. Juni 2022 (Aktenzeichen B 12 R 3/20 R – sogenanntes Herrenberg-Urteil) sei eine Änderung eingetreten. Auf davor liegende Zeiträume seien die vermeintlich geänderten Grundsätze nicht übertragbar.
Dem hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts widersprochen und das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Nach den maßgeblichen Verhältnissen des Einzelfalls sei der Beigeladene aufgrund Beschäftigung jedenfalls in der Zeit vom 7. August 2017 bis zum 22. Juni 2018 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Hinsichtlich der späteren Zeiträume hat der Senat die Sache zur Durchführung weiterer Ermittlungen an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Während selbstständige Lehrer, die der Rentenversicherungspflicht unterliegen, ihre Beiträge selbst tragen müssen, werden die Beiträge im Fall der Beschäftigung von den Versicherten und den Arbeitgebern grundsätzlich zur Hälfte getragen.
Auch wenn die Klägerin geltend mache, durch die Beitragszahlung für vergangene Zeiträume gegebenenfalls unzumutbar zusätzlich belastet zu werden, vermöge allein dies einen Vertrauensschutz nicht zu begründen. Eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre, existiere nicht. Daher könne sich die Volkshochschule auch nicht auf den Fortbestand einer früheren Rechtsprechung berufen. Entscheidungen über das Vorliegen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen beruhten vielmehr stets auf einer Einzelfallbeurteilung.
Hinweis für die Praxis
Das BSG bekräftigt abermals, dass die Beurteilung der Sozialversicherungspflichtigkeit einzelfallabhängig ist. Das ist für die Praxis – in allen Branchen – misslich, weil mit großer Unsicherheit verbunden, zumal ausufernde sozialgerichtliche Instanzrechtsprechung zu dieser Frage existiert, die sich leider z. T. auch widerspricht. Für Lehrkräfte sieht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales darin wie die Bildungseinrichtungen ein großes Problem, weil ohne selbständig tätige Lehrkräfte das Bildungsangebot in seinem bisherigen Umfang gefährdet sei, und hat daher eine Übergangsregelung initiiert, die der Bundestag am 30.01.2025 beschlossen hat und die am 01.03.2025 in Kraft getreten ist. Die in § 127 SGB IV aufgenommene „Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten“ sieht insbesondere vor, dass eine festgestellte Sozialversicherungspflichtigkeit von Lehrkräften erst ab dem 1. Januar 2027 eintritt, wenn die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und die lehrende Person zustimmt, sowie, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ab dem 01.03.2025 bis zum 31.12.2026 die betroffenen Personen auch rentenversicherungsrechtlich als Selbständige gelten.
17. März 2025