Sind Corona-Selbsttestzeiten einer Pflegekraft vergütungspflichtige Arbeitszeiten?
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte in seinem Urteil vom 06.09.2024 (14 Sa 348/23) darüber zu entscheiden, ob Corona-Selbsttestzeiten einer Pflegekraft als Arbeitszeit entsprechend zu vergüten sind.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Vergütungspflicht der Beklagten für angeblich von der Klägerin aufgewendete Zeiten zur häuslichen Durchführung von Corona-Tests.
Die Klägerin war bei der Beklagten, die eine ambulante Kinderkrankenpflege betreibt, in der Zeit vom 01.11.2020 bis zum 31.03.2022 als examinierte Gesundheits- und Kranken-/Kinderpflegerin zur Betreuung eines körperlich und geistig eingeschränkten und immungeschwächten Kindes beschäftigt. Die Klägerin betreute dieses Kind zu Hause und in der Schule. Im Zeitraum von Januar bis Juni 2021 führte die Klägerin auf Weisung der Beklagten insgesamt 38 Corona-Selbsttests durch und in der Zeit von Juli 2021 bis März 2022 insgesamt 57 Tests. Hierzu erhielt sie von der Beklagten Testmaterial und war gehalten, den Test auf Formularen der Beklagten zu dokumentieren, nach Angaben der Klägerin vor dem eigentlichen Test, das Formular jeweils abzufotografieren und zunächst per E-Mail und abschließend das Original per Post an die Beklagte zu senden. Die Klägerin desinfizierte sich vor Durchführung der Tests die Hände, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob die Beklagte dies anordnete.
Die Klägerin hat sodann die Vergütung für die insgesamt 95 durchgeführten Selbsttests geltend gemacht. Sie behauptet hierzu, dass sie für jeden Test eine halbe Stunde aufgewendet habe. Die Klägerin hat dabei die Auffassung vertreten, die aufgebrachte Testzeit sei vergütungspflichtig, weil sie wie im Fall unabdinglicher Schutzkleidung gar nicht hätte eingesetzt werden können. § 28b IfSG sei eine arbeitsschutzrechtliche Norm.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die für die Selbsttests aufzuwendende Zeit nicht lediglich im Interesse des Arbeitgebers stünde und aus diesem Grund auch nicht vergütungspflichtig sei.
Das erstinstanzlich zuständige Arbeitsgericht hat die Klage auf Vergütung von Zeiten der Selbsttestung abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen.
Das Arbeitsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den angeblich für die Selbsttests aufgewendeten Zeiten nicht um vergütungspflichtige Arbeitszeiten im Sinne des § 611a Abs. 2 BGB handelte. Die Beklagte habe der Klägerin nicht aufgrund ihres arbeitsvertraglichen Weisungsrechts Tätigkeiten abverlangt, welche als „Arbeit“ anzusehen wären, sondern sie sei staatlichen Vorgaben gefolgt, die sowohl von ihr als Arbeitgeberin auch von der Klägerin als Arbeitnehmerin im streitgegenständlichen Zeitraum einzuhalten waren. Der Klägerin sei es im streitgegenständlichen Zeitraum untersagt gewesen, ihre Arbeit überhaupt anzutreten, bevor sie nicht einen negativen Coronatest nachweisen konnte. Damit diente die Durchführung der Tests nicht ausschließlich einem fremden Bedürfnis. Auch soweit die Beklagte der Klägerin auferlegte, die Testung nicht lediglich durchzuführen, sondern zu dokumentieren, entsprach auch dies den Vorgaben in der Verordnung, wonach das Testergebnis der Leitung vorzulegen war. Eine derartige Dokumentation wäre auch vorgenommen worden, wenn sich die Klägerin zu einem Testzentrum begeben hätte. Stattdessen habe die Klägerin die Testpflicht zeit- und kostensparend bequem von zu Hause aus erfüllen können, was bei weitem nicht allen Beschäftigten ermöglicht wurde. Das übersichtliche und sehr schnell auszufüllende Formular der Beklagten habe auch keine Weiterungen enthalten, die als ausschließlich fremdnützig anzusehen wären. Eine vergütungspflichtige Arbeit stelle es auch nicht dar, dass die Klägerin das Testergebnis nicht nur per E-Mail, sondern auch per Post zu übersenden hatte. Soweit die Beklagte hier eine digitale und analoge Nachweismöglichkeit bei evtl. Kontrollen erhielt, ohne dass derartiges verpflichtend gewesen wäre, wurde die Möglichkeit der Klägerin, ihre Freizeit eigenständig zu gestalten, hierdurch nur in einem völlig unerheblichen Maße beeinträchtigt, sodass unter Berücksichtigung von § 241 Abs. 2 BGB nach dem Rechtsgrundsatz minima non curat praetor nicht von einer vergütungspflichtigen Arbeit auszugehen sei.
Hinweis für die Praxis
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. Arbeitgeber sollten deshalb stets im Auge behalten, welche Zeiten tatsächlich als vergütungspflichtige Arbeitszeit im Sinne von § 611a Abs. 2 BGB einzuordnen sind. In Zweifelsfällen empfiehlt sich eine detaillierte Prüfung. Zu bedenken ist aber auch, dass nicht nur die eigentliche Tätigkeit im klassischen Sinne, sondern auch jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt, grundsätzlich vergütungspflichtig ist (vgl. BAG, Urteil vom 23.04.2024 – 5 AZR 212/23).
4. November 2024