
Keine leitende Angestellte trotz Einstellungs- und Entlassungsbefugnis
Die Direktorin einer Einzelhandelsfiliale ist auch dann, wenn sie selbständig Personal einstellen und entlassen darf, keine leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Hessen mit Beschluss vom 09.12.2024 (Az. 16 TaBV 93/24).
Sachverhalt
Dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hessen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragsgegnerin ist ein Einzelhandelsunternehmen mit deutschlandweit rund 3.500 Beschäftigten in 70 Filialen. In der Filiale A sind etwa 100 Mitarbeiter für sie tätig, die weit überwiegend dem Direktionsrecht einer lokalen Filialdirektorin unterstehen. Antragsteller im Verfahren ist der für die Filiale A gebildete Betriebsrat. Er steht mit der Antragsgegnerin über die Frage im Streit, ob die Filialdirektorin Leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG ist. Die Antragsgegnerin geht davon aus, dass die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Sie stützt sich darauf, dass nach ihrer Organisationsstruktur die Filialen jeweils eigenständige Betriebe seien, für die alle wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen von den Filialdirektionen getroffen werden. Die Direktorin der Filiale A unterstehe direkt der Geschäftsführung. Sie sei zur selbständigen Einstellung und Entlassung der Mehrheit des dort beschäftigten Personals befugt und habe im Innenverhältnis unbeschränkte Befugnisse. Sie treffe alle Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten, entscheide über die Einsatzplanung und Zuteilung der Schichten, genehmige Urlaubsanträge und spreche Abmahnungen aus. Die Zentrale, so die Antragstellerin, habe im Vergleich dazu rein unterstützende, beratende und administrative Funktion.
Der Betriebsrat steht auf dem Standpunkt, die von der Antragstellerin vorgetragene Einstellungs- und Entlassungsbefugnis reiche allein nicht aus, um den Status nach § 5 Abs. 3 BetrVG zu begründen. Denn weitergehende unternehmerische Kompetenzen habe die Filialdirektorin nicht. So würden Betriebsvereinbarungen nicht von ihr, sondern durch die Geschäftsführung unterzeichnet. Entgegen den Darstellungen der Antragsgegnerin bestünden keine eigenen Handlungs- und Entscheidungsspielräume, sondern die Filialdirektorin setze die Vorgaben des Unternehmens um. Die Anzahl der von ihrer Personalkompetenz umfassten Beschäftigten sei in Relation zur Größe der Gesamtbelegschaft mit 2,6% zu gering.
Entscheidungsgründe
Nachdem schon das erstinstanzliche Gericht dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben hatte, unterlag die Antragsgegnerin auch in zweiter Instanz. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG sei Leitender Angestellter, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist. Einstellungen und Entlassungen, so die 16. Kammer, seien Instrumente der Personalwirtschaft und im Kernbereich unternehmerischer Tätigkeit verortet. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG seien gleichwohl nur dann gegeben, wenn die einem Arbeitnehmer verliehenen Personalkompetenzen nicht nur von untergeordneter unternehmerischer Bedeutung seien. Die unternehmerische Bedeutung der Personalverantwortung könne dabei aus der Anzahl der Arbeitnehmer folgen, auf die sich die selbständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis bezieht. Auch falle ins Gewicht, ob sich die Befugnis auch auf hochqualifizierte Kräfte mit entsprechenden Entscheidungsspielräumen für wichtige Geschäftsbereiche erstreckt. Vorliegend sei die der Filialdirektorin von der Antragsgegnerin verliehene Personalkompetenz weder qualitativ noch quantitativ ausreichend. Sie sei zwar Vorgesetzte der in der Filiale A beschäftigten Mitarbeiter, aber ohne den für den Status einer Leitenden Angestellten erforderlichen Einfluss auf die Unternehmensführung. Auch die einen selbstständigen Betrieb nach § 1 Abs. 1 BetrVG darstellende Filiale könne in diesem Zusammenhang nicht völlig losgelöst vom Unternehmen als Ganzem beurteilt werden. So gesehen sei auch eine große und umsatzstarke Filiale, in der annähernd 100 Angestellte mit Tätigkeiten der Kontrolle des Wareneingangs, der Präsentation von Ware und der Beratung von Kunden bis hin zum Kassieren des Verkaufspreises beschäftigt werden, letztlich nur eine Verkaufsstelle nach einem strikt vorgegebenen Konzept. Eigene und erhebliche Entscheidungsspielräume der Filialdirektorin, geprägt von weitgehender Weisungsfreiheit und Selbstbestimmung, stünden ihr nicht zu.
Hinweis für die Praxis
Leitende Angestellte unterliegen nicht der Zuständigkeit des Betriebsrats. Auch eine Reihe von Arbeitnehmerschutzbestimmungen kommen auf sie nicht zur Anwendung. Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Hürden für die Annahme dieses Status sehr hoch liegen und selbst das Bestehen einer selbständigen Einstellungs- und Entlassungsbefugnis nicht in jedem Fall ausreichend ist. Hinzukommen muss vielmehr eine nicht nur untergeordnete unternehmerische Bedeutung der übertragenen Personalverantwortung. Es bleibt abzuwarten, ob die Antragsgegnerin sich auch gegen den Beschluss in der Zweiten Instanz zur Wehr setzen wird. Auch hier bleibe ein Erfolg ihrerseits äußerst fraglich, zumal das Landesarbeitsgericht Hessen sich mit seiner Entscheidung auf der Linie des Bundesarbeitsgerichts bewegt. Dieses entschied zuletzt im Jahr 2016, dass Leitende Angestellte nicht nur Personalbefugnisse, sondern auch unternehmerischen Entscheidungsspielraum haben müssen. Diese Abgrenzung hat für Arbeitsgeber wie auch Betriebsräte eine hohe praktische Bedeutung. Unternehmen sollten sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, was den betriebsverfassungsrechtlichen Status ihrer Führungskräfte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG betrifft.
26. Februar 2025