
Keine Gehaltsanpassung „nach ganz oben“ nach Entgelttransparenzgesetz
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 01.10.2024 – 2 Sa 14/24) hat entschieden, dass dann, wenn das Gehalt einer weiblichen Kollegin systematisch unter dem Mediangehalt der männlichen Vergleichsgruppe liegt, die Kollegin nur die Differenz zwischen dem Mediangehalt der weiblichen Vergleichsgruppe zum Mediangehalt der männlichen Vergleichsgruppe geltend machen kann. Weder der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsrundsatz noch Art. 157 AEUV bzw. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG begründen eine Anpassung des individuellen Gehalts nach „ganz oben“ auf das Niveau zu dem bestbezahlten männlichen Kollegen.
Sachverhalt
Dem Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist seit 2008 bei der Beklagten beschäftigt. Nach mehreren Elternzeiten kehrte die Klägerin, ursprünglich in Vollzeit tätig, zunächst in Teilzeit zurück. Seit 2023 ist sie wieder in Vollzeit tätig. Die Klägerin machte geltend, dass sie wegen ihres Geschlechts entgeltdiskriminiert werde. Sie sei unterdurchschnittlich bezahlt worden und habe an Entgelterhöhungsrunden unterdurchschnittlich teilgenommen. Ihr stünden für die Jahre 2018 bis 2022 erhebliche Nachzahlungen u.a. in Bezug auf die Grundvergütung sowie den Company Bonus gemäß Art. 157 AEUV sowie – für die Zeit ab dem Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes – § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG zu. Nach der Equal-Pay-Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne sie verlangen, wie ein einzelner von ihr benannter vergleichbarer männlicher Kollege vergütet zu werden. Unerheblich sei, ob der vergleichbare Kollege über oder unter dem Median der gesamten männlichen Vergleichsgruppe liege. Alleiniger Maßstab sei, dass der männliche Kollege gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichte und somit in der Gruppe der männlichen Vergleichspersonen auftauche. Zur Darlegung des Indizes einer Geschlechterdiskriminierung gemäß § 22 AGG sei ausreichend, eine einzige Vergleichsperson zu benennen, um eine Umkehrung der Beweislast zu begründen. Dass es vorliegend eine größere Anzahl an Vergleichspersonen gebe, ändere daran nichts. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz verlange eine Anpassung nach (ganz) oben auf das maximale Niveau der bestbezahlten vergleichbaren männlichen Führungskraft. Nur dies beseitige die gesetzeswidrige Ungleichbehandlung vollständig. Die Pflicht zur Anpassung an das höchste Niveau innerhalb der begünstigten Gruppe berücksichtige insofern auch, dass ein den rechtlichen und gesellschaftlichen Zielvorstellungen entsprechender Zustand nicht erreicht werden könne, wenn es sich nicht lohne, auf eine sachwidrige Ungleichbehandlung mit einem Gang vor ein Gericht zu reagieren. Eine reine Medianbetrachtung sei abzulehnen, weil dies zu einem Sinken ihrer Vergütung ab dem Jahr 2019 führen würde. Das Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe sei zwar vom Jahr 2018 zum Jahr 2019 gestiegen, dann aber – unstreitig – gesunken. Deshalb müsse von der Basis des Jahres 2019 aus dem Median der männlichen Vergleichsgruppe um die durchschnittlichen Entgelterhöhungen hochgerechnet werden. Schließlich sei es irrelevant, dass ihr Gehalt unter demjenigen des weiblichen Medianentgelts liege. Das Bundesarbeitsgericht habe bereits entschieden, dass Ansprüche ausgehend vom individuellen Entgelt geltend gemacht werden könnten. Die Klägerin machte die Differenz zwischen ihrer Vergütung zum dem am besten bezahlten männlichen Kollegen der dritten Führungsebene geltend. Hilfsweise begehrte sie die Differenz ihres Gehaltes zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe. Insgesamt klagte sie ca. 420.000 Euro brutto für einen Zeitraum von fünf Jahren ein.
Entscheidungsgründe
Das LAG Baden-Württemberg sprach der Klägerin die Differenz zwischen dem weiblichen und dem männlichen Medianentgelt zu. Den Anspruch auf vollständige Gleichstellung mit dem bestbezahlten männlichen Kollegen wies das Gericht ebenso zurück, wie die hilfsweise geltend gemachte Differenz ihres Gehaltes zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe.
Die Indizwirkung im Sinne von § 22 AGG könne nicht isoliert von der konkret behaupteten Benachteiligung und der mit dem Antrag begehrten Rechtsfolge bestimmt werden. Art. 157 AEUV bzw. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG verlangten für eine Vergütungsdiskriminierung nicht irgendein Indiz im Sinne von § 22 AGG mit der Folge eines Anspruchs auf den maximal denkbaren Differenzbetrag ohne Betrachtung der Reichweite der konkreten Indizwirkung.
Stehe daher fest, dass die Vergütung eines zum Paarvergleich herangezogenen männlichen Kollegen oberhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe liege, bestehe keine hinreichende Kausalitätsvermutung dahingehend, dass die volle Differenz des individuellen Entgelts einer Klägerin zum individuellen Entgelt des namentlich benannten männlichen Kollegen auf einer geschlechtsbedingten Benachteiligung beruhe. Vielmehr sei die im Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe zum Ausdruck kommende Information geeignet, die aus dem Paarvergleich folgende erste Anscheinswirkung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung in Höhe der Differenz des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe zum individuellen Entgelt des herangezogenen Vergleichskollegen zu entkräften.
Stehe überdies fest, dass die individuelle Vergütung einer Klägerin unterhalb des vom Arbeitgeber konkret bezifferten Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe liege, bestehe auch keine hinreichende Kausalitätsvermutung dahingehend, dass die volle Differenz des individuellen Entgelts der Klägerin zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe auf einer geschlechtsbedingten Benachteiligung beruhe. Die im Medianentgelt der Vergleichsgruppe des weiblichen Geschlechts zum Ausdruck kommende Information sei geeignet, die erste Anscheinswirkung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung in Höhe der Differenz des individuellen Entgelts der Klägerin zum Medianentgelt der weiblichen Vergleichsgruppe zu entkräften. Es verbleibe dann eine überwiegende Kausalitätswahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung in Höhe der Differenz der beiden Medianentgelte, wenn das Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe oberhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe liege.
Der Klägerin stehe daher gemäß Art. 157 AEUV bzw. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG ein Anspruch auf die Differenz des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe bezüglich des Bruttomonatsgehalts und des Company Bonus zu, was nach Auffassung des Gerichts im Ergebnis statt zu den geltend gemachten ca. 420.000 Euro „nur“ noch zu ca. 130.000 Euro führte.
Hinweis für die Praxis
Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg ist mit 383 Randnummern umfangreich und setzt sich dezidiert mit den Ansichten der Literatur sowie bereits ergangener Rechtsprechung anderer LAG und des BAG auseinander.
Die Kammer hebt hierbei auch u.a. hervor, dass es die Tatsache, dass das BAG eine Differenz zwischen dem individuellen Gehalt und dem Medianentgelt der Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts – entgegen der eigenen Entscheidung – in einem Fall als Indiz für eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in diesem Umfang anerkannt hat (so BAG 21.01.2021 – 8 AZR 488/19). In diesem Fall sei jedoch kein konkreter Vortrag zum Medianentgelt des weiblichen Geschlechts seitens der dortigen Beklagten erfolgt. Auch sei durch das BAG nicht entschieden worden, dass die benannte Vergütungsdifferenz ein absolutes Indiz dergestalt darstelle, dass der individuelle Lohn gegenüber dem Medianentgelt des anderen Geschlechts immer in vollem Umfang auf einer geschlechtsbedingten Diskriminierung beruht. Absolute Indizien im Sinne eines „Automatismus“ gebe es gerade nicht. Maßgeblich seien für die Kausalitätsvermutung des § 22 AGG stets die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls.
Insofern verwundert es nicht, dass der Instanzenzug in diesem Fall „weiterfährt“. Die Revision ist beim BAG unter dem Aktenzeichen 8 AZR 300/224 anhängig. Ob und wie das BAG im Ergebnis entscheidet, bleibt mit Spannung abzuwarten. Die Entscheidung zeigt jedoch, wie so oft in der jüngeren Vergangenheit: das Arbeitsrecht bleibt eine sich im stetigen Fluss befindende spannende Rechtsmaterie. Arbeitgeber sind insofern gut beraten, etwaige Entgeltdifferenzen aufzudecken und aus Compliance-Gesichtspunkten kritisch zu hinterfragen.
12. März 2025