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Freiwilligkeitsvorbehalt/Hinweis auf Vorrang von Individualabreden

Ist ein Freiwilligkeitsvorbehalt nur dann wirksam, wenn in ihm ausdrücklich auf den Vorrang von späteren, entgegenstehenden Individualabreden hingewiesen wird? Die neunte Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg hat diese Frage mit Urteil vom 09.09.2022 (9 Sa 28/22) erneut bejaht.

Sachverhalt

Das Landesarbeitsgericht hatte über die Berufung gegen ein klageabweisendes erstinstanzliches Urteil zu entscheiden. Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der seit 2006 bei der Beklagten als Abteilungsleiter Lagerwirtschaft beschäftigt war und bereits durch Eigenkündigung ausgeschieden war. In den Jahren 2016 bis 2018 hatte der Kläger jeweils 50% seines Bruttogehalts als Weihnachts- und Urlaubsgeld erhalten, wobei jeweils mit der Zahlung kein ausdrücklicher Freiwilligkeitsvorbehalt erklärt worden war. Gegenstand der Klage war die Zahlung dieser Zuwendungen für die Jahre 2020 und 2021. Im Arbeitsvertrag der Parteien war eine Klausel mit folgendem Inhalt enthalten:

»Die Zahlung von Sonderzuwendungen insbesondere von Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt.«

Außerdem enthielt der Arbeitsvertrag der Parteien eine einfache Schriftformklausel folgenden Wortlauts:

»Nebenabreden und Vertragsänderung: Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderung und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.«

Das Gericht erster Instanz hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, aufgrund des wirksam vereinbarten Freiwilligkeitsvorbehalts sei ein Anspruch auf zukünftige Zahlung von Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld nicht entstanden.

Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert, die beklagte Arbeitgeberseite zur Zahlung verurteilt und die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Entscheidungsgründe

Das Landesarbeitsgericht hielt die Klage im Zahlungsantrag für begründet. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung der Sonderzuwendungen für die Jahre 2020 und 2021 zu. Der Anspruch sei durch betriebliche Übung entstanden, weil in den Jahren 2016-2019 jeweils ein halbes Bruttogehalt als Weihnachtsgeld bzw. Urlaubsgeld vorbehaltlos gezahlt worden sei. Dem stehe auch nicht der im Arbeitsvertrag enthaltene Freiwilligkeitsvorbehalt entgegen, da dieser keinen ausdrücklichen Hinweis auf den Vorrang einer späteren Vereinbarung über vertraglich nicht geregelte Gegenstände oder Sonderzuwendungen enthalte. Dabei bezog sich das LAG auch auf die Rechtsprechung des BAG, wonach eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers in einem „pauschalen Freiwilligkeitsvorbehalt“ liege, der nicht nach Art und Umfang der Leistungen differenziere und damit auch nachträgliche Individualvereinbarungen im Sinne des § 305b BGB erfasse (BAG, Urt. v. 14.09.2011 – 10 AZR 526/10). Der Vorrang der Individualabrede lasse eine Freiwilligkeitsklausel, die gegen diese gesetzliche Regelung ausgelegt werden könne, nicht zu. Dies sei hier der Fall. Denn die streitgegenständliche Klausel stehe mit ihrer Regelung, wonach die Zahlung von Sonderzuwendungen im freien Ermessen des Arbeitgebers stehe und kein Rechtsanspruch hierauf bestehe, einer Auslegung entgegen, wonach abweichende einzelvertragliche Vereinbarungen möglich seien. Die Mehrdeutigkeit der verwendeten Klausel werde durch die nachfolgende einfache Schriftformklausel noch unterstrichen. Für den Arbeitnehmer könne dadurch der Eindruck entstehen, dass dadurch Ansprüche ausgeschlossen werden würden, selbst wenn dazu später formlose, jedoch ausdrückliche Individualvereinbarungen getroffen worden wären.

Revision zum Bundesarbeitsgericht ist eingelegt.

Hinweis für die Praxis

Das Landesarbeitsgericht hat mit dieser Rechtsprechung die Linie des Bundesarbeitsgerichts zur Formulierung von Schriftformklauseln nachvollzogen. Demnach wird eine generelle Regelung im Formulararbeitsvertrag von einer entgegenstehenden Individualabrede verdrängt. Auch wenn es eine solche entgegenstehende Individualabrede nicht gibt, ist die generelle Regelung im Formulararbeitsvertrag nach den AGB-Bestimmungen rechtsunwirksam, wenn in ihr selbst nicht auf den Vorrang etwaiger entgegenstehender Individualabreden hingewiesen wird.

Arbeitgeber, die mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt in ihren Formulararbeitsverträgen dem Entstehen eines Rechtsanspruchs auf benannte Sonderleistungen entgegenwirken wollen, sollten – jedenfalls bis zu einer eventuell anderslautenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts – bei der Formulierung des Vorbehalts der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Rechnung tragen.

Fraglich bleibt schließlich, ob die Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht auch auf Freiwilligkeitsvorbehalte angewandt werden müsste, die jeweils im Zusammenhang mit einer konkreten einzelnen freiwilligen Leistung erklärt werden. Die dafür denkbare Formulierung:

»Sie erhalten mit der diesjährigen November-Abrechnung eine Zahlung i.H.v. 1.000,00 EUR brutto als Weihnachtsgeld. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Arbeitgeberleistung, aus der kein Rechtsanspruch auf entsprechende Leistungen für die Zukunft erwächst, es sei denn zukünftig würde eine ausdrückliche Vereinbarung über die Zahlung von Weihnachtsgeld getroffen.«

enthält im Kern die Aussage einer Selbstverständlichkeit. Wenn das Fehlen dieses Hinweises auf Selbstverständlichkeiten entsprechende Formularklauseln rechtsunwirksam macht, wäre dies mit dem »endgültigen Ende« des Freiwilligkeitsvorbehalts wohl auch der Anfang vom Ende freiwilliger Arbeitgeberleistungen.

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