
Durchgängiger Mutterschutz steht dem Verfall von Urlaubsansprüchen entgegen
Entstandene Urlaubsansprüche verfallen nicht während Zeiten von mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten, die nahtlos ineinander übergehen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.
Sachverhalt
Dem Urteil des BAG vom 20.08.2024 (Az.: 9 AZR 226/23) liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die klagende Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Arbeitgeber vom 08.02.2017 bis zum 31.03.2020 als Zahnärztin zu einem Bruttomonatsgehalt von EUR 4.182,62 angestellt. Die Klägerin hatte kalenderjährlich einen Urlaubsanspruch von 28 Tagen.
Der Beklagte sprach mit Wirkung zum 01.12.2017 ein Beschäftigungsverbot für die damals schwangere Klägerin aus. Zu diesem Zeitpunkt standen der Klägerin für das Jahr 2017 noch fünf Tage Resturlaub zu. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2020 schlossen sich nahtlos weitere Beschäftigungsverbote an. Diese wurden aufgrund von Mutterschutzfristen und Stillzeiten wegen der im Juli 2018 sowie im September 2019 geborenen Kinder der Klägerin ausgesprochen.
Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Abgeltung von insgesamt 68 Tagen Urlaub aus den Jahren 2017 bis 2020. Diese setzten sich zusammen aus fünf Tagen Resturlaub für 2017, jeweils 28 Tagen Urlaub für die Jahre 2018 und 2019 sowie anteiligem Urlaub von sieben Tagen für das Jahr 2020.
Der Beklagte unterlag vor dem Arbeitsgericht Leipzig und dem Landesarbeitsgericht Sachsen. Mit der Revision verfolgte der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Forderung der Klägerin auf Abgeltung ihres nicht erfüllten Urlaubs gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG war in voller Höhe begründet. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.
Die Klägerin hatte zu Beginn des Beschäftigungsverbots zum 01.12.2017 einen Resturlaubsanspruch von fünf Tagen aus dem Jahr 2017. In den Jahren 2018 und 2019 hat sie jeweils einen Urlaubsanspruch von 28 Tagen erworben. Für das Jahr 2020 hat die Klägerin einen anteiligen Urlaubsanspruch in Höhe von sieben Tagen erworben. Dass die Klägerin seit dem 01.12.2017 von mehreren nahtlos aneinander anschließenden Beschäftigungsverboten betroffen war, war unerheblich. Denn für die Berechnung des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub gelten nach § 24 S. 1 MuSchG Ausfallzeiten wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots als Beschäftigungszeiten. Die Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG sind dabei in § 2 Abs. 3 S. 1 MuSchG aufgezählt.
Die Urlaubsansprüche der Klägerin waren vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. § 24 S. 2 MuSchG verhinderte das Erlöschen des Urlaubsanspruchs. Nach dieser Vorschrift kann eine Frau den Urlaub, den sie vor Beginn eines Beschäftigungsverbots nicht oder nicht vollständig erhalten hat, nach dem Ende des Beschäftigungsverbots im laufenden oder nächsten Urlaubsjahr beanspruchen. Hier folgten mehrere Beschäftigungsverbote nahtlos aufeinander. Daher konnte die Klägerin ihren angesammelten Urlaub nicht vor Beginn des zeitlich letzten Beschäftigungsverbots „erhalten“. Deshalb konnte die Klägerin den gesamten bis dahin aufgelaufenen Urlaub gemäß § 24 S. 2 MuSchG nach dem Ende des zeitlich letzten Beschäftigungsverbots beanspruchen. Dafür standen ihr das laufende und das darauffolgende Urlaubsjahr zur Verfügung.
Das BAG begründete dieses Ergebnis mit dem Sinn und Zweck des § 24 S. 2 MuSchG, den geschützten Frauen zu ermöglichen, ihren Erholungsurlaub nach einem Beschäftigungsverbot auf ein Kalenderjahr zu verteilen. Ein kürzerer Übertragungszeitraum sei vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Zudem nahm das BAG Bezug auf seine Rechtsprechung zu Elternzeiten, wenn sie sich nahtlos an Mutterschutzfristen anschließen. Dort kommt das BAG zum gleichen Ergebnis: der Resturlaub ist dann nach dem Ende der Elternzeit zu gewähren, § 17 Abs. 2 BEEG (BAG, Urteil vom 05.07.2022, Az.: 9 AZR 341/21). Im Übrigen entspreche das Ergebnis unionsrechtlichen Vorgaben.
Hinweis für die Praxis
Das Urteil reiht sich in die Rechtsprechung des BAG zur Entstehung und zum Verfall von Urlaubsansprüchen während Mutterschutz und Elternzeit ein. Insbesondere im medizinischen und zahnmedizinischen Bereich sind lange Beschäftigungsverbote bei Arbeitnehmerinnen mit Patientenkontakt die Regel, was an der Infektionsgefahr liegt. Der nun entschiedene Fall ist also besonders für diese Bereiche relevant. Werden die aufeinanderfolgenden Beschäftigungsverbote jedoch durch Zeiten der Beschäftigung unterbrochen, gelten die allgemeinen Regelungen zum Verfall des Urlaubs.
Kehrt eine Arbeitnehmerin nach einer Reihe nahtlos aufeinanderfolgender Beschäftigungsverbote oder nach nahtlos auf ein Beschäftigungsverbot folgender Elternzeit zurück, muss der Arbeitgeber erneut seine Mitwirkungsobliegenheit zur Gewährung des Urlaubs erfüllen. Hierbei muss er neben der Zahl der Urlaubstage darüber informieren, dass der nach § 24 S. 2 MuSchG aufgelaufene Urlaub im auf das laufende Urlaubsjahr folgenden Urlaubsjahr verfällt. Der Urlaub aus dem laufenden Urlaubsjahr verfällt bereits mit Ablauf desselben. Für diese Information hat der Arbeitgeber ab der Rückkehr der Arbeitnehmerin in Anlehnung an die Mitwirkungsobliegenheit zum Jahresbeginn (BAG, Urteil vom 31.01.2023, Az.: 9 AZR 107/20) sechs Werktage Zeit.
2. Juli 2025