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Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenzuschlägen

Eine tarifvertragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, behandelt teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte und verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter, so das Bundesarbeitsgericht am 05.12.2024 (8 AZR 370/20).

Sachverhalt

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte ist ein ambulanter Dialyseanbieter mit mehr als 5.000 Arbeitnehmern. Die Klägerin ist bei ihm als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 40% eines Vollzeitbeschäftigten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der zwischen dem Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Nach § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV sind mit einem Zuschlag von 30 v.H. zuschlagspflichtig Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vorgesehen. Das Arbeitszeitkonto der Klägerin wies Ende März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Der Beklagte hat der Klägerin für diese Zeiten in Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV weder Überstundenzuschläge gezahlt noch im Arbeitszeitkonto eine Zeitgutschrift vorgenommen.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin verlangt, ihrem Arbeitszeitkonto als Überstundenzuschläge weitere 38 Stunden und 39 Minuten gutzuschreiben. Weiterhin klagte sie die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Vierteljahresverdienstes ein. Die Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV benachteilige sie wegen ihrer Teilzeit unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Zugleich werde sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, denn der Beklagte beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit.

Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift zuerkannt und hinsichtlich der begehrten Entschädigung die Klageabweisung bestätigt.

Mit Beschluss vom 28.10.2021 (8 AZR 370/20) hatte der Senat das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 29.07.2024 (C-184/22 und C-185/22 [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation eV]) getan und eine mögliche Ungleichbehandlung bejaht.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Bundesarbeitsgericht teilweise Erfolg. Der Senat hat der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift – in Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht – zugesprochen und ihr darüber hinaus eine Entschädigung iHv. 250,00 Euro zuerkannt.

Auf der Grundlage der Vorgaben des EuGH habe der Senat davon ausgehen müssen, dass § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten unwirksam ist, als er bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsehe. Einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung habe der Senat nicht erkennen können.

Die sich aus dem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG ergebende Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Überstundenzuschlagsregelung führe zu einem Anspruch der Klägerin auf die eingeklagte weitere Zeitgutschrift. Daneben sei ihr eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zuzuerkennen. Durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung habe die Klägerin auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren. In der Gruppe der beim Beklagten in Teilzeit Beschäftigten, die dem persönlichen Anwendungsbereich des MTV unterfallen, seien zu mehr als 90% Frauen vertreten. Als Entschädigung sei ein Betrag iHv. 250,00 Euro festzusetzen. Dieser sei erforderlich, aber auch ausreichend, um einerseits den der Klägerin durch die mittelbare Geschlechtsbenachteiligung entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen und andererseits gegenüber dem Beklagten die gebotene abschreckende Wirkung zu entfalten.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, ist konsequent mit Blick auf das Vorlageverfahren und die Entscheidung des EuGH. Ob sie allerdings das letzte Wort in Sachen Ungleichbehandlung bei Überstundenvergütungen ist, darf bezweifelt werden. Der EuGH stellte klar, dass die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung davon abhängt, welches Ziel die Tarifvertragspartei mit einer Überstundenregelung verfolgten. Die vom BAG in den Vorabentscheidungsverfahren zusammengefasste Rechtfertigung überzeugte den EuGH nicht. Es ist aber denkbar, dass eine sinnvolle Rechtfertigung einen ausreichenden sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten darstellen könnte. Weiterhin ist fraglich, wie zu bewerten ist, dass letztlich ein Teilzeitbeschäftigter, der Überstunden im Umfang über die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinaus erbringt, diese besonders vergütet erhält während der Vollzeitbeschäftigte „nur“ seine vertragliche Grundvergütung bezieht. Im Ergebnis wird der Teilzeitbeschäftigte dann finanziell bessergestellt.

Treu geblieben ist sich das BAG beim Entschädigungsanspruch, der wie üblich eher gering ausfällt und auch hinter der Forderung der Klägerin zurückbleibt.

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